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Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition)

Titel: Meistens alles sehr schnell: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Kloeble
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nicht einmal einen Vater. Warum er in SanktHelena lebe, wenn Fred so toll sei, fragten sie und wackelten hämisch mit den Köpfen   – Albert ignorierte das. Schwester Alfonsa hatte ihn auf solche Situationen vorbereitet; er folgte ihrem Rat, streckte den anderen Kindern nicht die Zunge raus und sagte sich, die wollten, weil sie niemanden hatten, so wie er sein, die seien nur neidisch und von einfachem Gemüt. Und das half Albert, der als Einziger von den Jüngeren im Waisenhaus wusste, was
Gemüt
bedeutete. In Sankt Helena bevorzugte Albert die untere Matratze im Stockbett, einerseits, weil er kein Freund von Höhen war, andererseits, damit er am Lattenrost über sich das befestigen konnte, was er als Letztes vor dem Einschlafen sehen wollte: Freds Bericht. Schon damals hatte er zu Fred nie Vater gesagt. Als Einjähriger hatte er ihn Ped, dann mit zwei Fed und danach für einige Monate stolzspuckend Fred genannt. Das hatte ihm Anni so beigebracht. Und nach deren Tod wollte Schwester Alfonsa, dass es dabei blieb. Was Albert verwirrte. Oft wollte er ihn
Papa
rufen, mit einem langgezogenen zweiten a, das den Rachen weit und den Kopf frei machte.
Fred
wellte seine Zunge und klang wie eine verstimmte Türklingel. Dennoch vertraute er der Ordensschwester, denn trotz seiner Verstandesreife war er immer noch klein genug, um zu glauben, dass Erwachsene, zu denen er auch Fred zählte, alles wussten und stets das Richtige taten.
    Erst mit fünf erkannte er seinen Irrtum.
    Bei einem Besuch in Königsdorf lagen sie, wie so oft, auf der Chaiselongue im Wohnzimmer vor dem Fernsehgerät (nicht dem Fernseher, wusste Albert schon mit fünf Jahren; nur Menschen konnten Fernseher sein, und solche, die ein Fernsehgerät als Fernseher bezeichneten, hatten schon zu lange vor ebendiesem gesessen). Albert erinnerte sich nicht mehr daran, welches Programm damals lief. Darauf hatte er nieWert gelegt, ihm ging es immer allein darum, sich an Fred zu schmiegen und dessen nie erlöschende Wärme zu spüren, wie auch an jenem Abend, an dem Albert, weil er aufs Klo musste, sich von Fred löste, der den Blick für keine Sekunde vom Fernsehgerät abwendete. Nachdem Albert auf der Toilette die Spülung gedrückt hatte, wartete er Fred zuliebe, bis sie keine Wassergeräusche mehr von sich gab, ehe er die Tür wieder öffnete. Als er zurück ins Wohnzimmer hopste, nah dran am Wunschlos-glücklich-Sein, sah er es.
    Noch bevor Albert Schwester Alfonsa zum ersten Mal im Schach schlagen sollte, noch bevor er seine Deutschlehrerin mit aus Zitaten deutscher Schriftsteller komponierten Aufsätzen beeindrucken sollte (ohne je erwischt zu werden), noch bevor er damit beginnen sollte, die englische Originalversion seines Lieblingsbuches,
The Hobbit or There and Back Again
, auswendig zu lernen, noch bevor er einen streunenden Hund Maxmoritz taufen und dressieren sollte, Wurst aus der Küche zu klauen, noch bevor er, gelangweilt vom inflationären Gebrauch von Kindergartenschimpfwörtern wie etwa Doofian oder Kackarsch, seine Neider als Kretins bezeichnen sollte, noch bevor er Kretins, die bei Schulprüfungen durch die Bank weg schlechter als er abschnitten, erläutern sollte, dass Einstein nie ein schlechter Schüler gewesen war, sondern nur Schweizer   – noch bevor all dies geschah, begriff Albert zum ersten Mal, wie wenig sein Vater begriff.
    Fred lag unverändert auf der Chaiselongue, sein Blick aber erreichte nicht das, was im Fernsehgerät lief. Die Doppeldeutigkeit hätte Schwester Alfonsa entzückt: Fred schaute fern. Mit der konzentrierten, aber eindeutig verzweifelten Miene eines auf einer Insel Gestrandeten, der den Horizont nach Schiffen absucht, betrachtete Fred den Bildschirm.
    Die ersten von Albert an Schwester Alfonsa gerichteten Worte nach diesem Besuch bei Fred waren: »Ist er verrückt?«
    Beim Schmunzeln verbarg sie wie so oft die Zähne und begrüßte ihn mit einer ihrer groben Umarmungen   – von Zahnspangen und Zärtlichkeit hatte man in ihrer Kindheit wenig gehalten. Für ihre undurchschaubare Mimik war sie weit über die Mauern von Sankt Helena hinaus bekannt. Albert hatte selbst miterlebt, wie ein draufgängerischer Waisenjunge   – er hieß Rupert   – ihr Schmunzeln einmal fälschlicherweise für ein unterdrücktes Lächeln gehalten hatte, als er auf das instabile Dach der Gartenhütte geklettert war, begleitet von Alfonsas Rufen, er solle
ruhig
weiterkraxeln, das habe
überhaupt keine
Konsequenzen, sie halte das für

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