Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
verfiel wieder in sein gewöhnliches Schweigen, oder seine Gedanken irrten vielmehr wieder durch das unterbrochne Traumbild, das ihn vom Gewässer des Golfes von Oman nach dem Busen von Guinea führte. Dann hefteten sie sich an den einzigen kleinen Punkt der Erdkugel, der für ihn wirklich Interesse hatte, und er sagte sich, daß das zwei andern Augen ebenso ergehen möge. In der That schienen der Banquier Zambuco und er – zwei Wesen von verschiedner Rasse, von so abweichenden Gewohnheiten, die einander auf Erden niemals hätten begegnen sollen – jetzt nur eine einzige Seele zu haben, schienen sie zwei Galeerensclaven an derselben Kette – freilich einer Kette aus Gold – zu sein.
Die Wälder mit Feigenbäumen wurden inzwischen immer dichter und dichter. Da und dort tauchten in einiger Entfernung Araberdörfer aus dem meergrünen Laub auf. Dann wieder zeigte sich eine jener horizontalen Flächen, die man, wenn sie von einem Bergabhang abstehen, »Dreches« (Malztennen) zu nennen pflegt. Hier erhoben sich Gurbis, dort weideten Heerden an einem Bergstrome, in dessen Bett das Wasser nach der Küste zu hinunterrauschte. Endlich erschien wieder ein Relais – meist ein erbärmlicher Stall, in dem Menschen und Vieh in vollständiger Eintracht lebten.
Am Abend hielt man bei Gardiman oder vielmehr an der Holzhütte, die, von einigen andern umgeben, zwanzig Jahre später eine der Stationen der Bahn von Bona nach Tunis bilden sollte. Nach zweistündigem Aufenthalt – der für das magre Abendessen in der Schänke viel zu lang war – setzte sich der Postwagen wieder in Bewegung und rollte durch die Windungen des Thales, zuweilen am Saume der Medjerdah, zuweilen gleich durch Flüsse, deren Wasser den Reisenden im Kutschkasten bis an die Füße kam, oder er klomm steile Strecken hinan, wo ihn die Pferde kaum erziehen konnten, und stürmte wieder Abhänge hinunter, wo die Zügel die rasenden Pferde kaum zu halten vermochten.
Das Land war herrlich, vorzüglich in der Umgebung von Mughtars, nur konnte leider niemand bei der stockfinstern und noch obendrein nebligen Nacht etwas davon sehen. Im übrigen bedurfte jeder nach achtundvierzigstündiger, unbequemer Fahrt endlich des Schlafs.
Der Tag begann zu grauen, als Meister Antifer und seine Gefährten in Soukhara ankamen, das am Ende einer Straßenwindung liegt, die sich an der Seite des Hügels hinzieht, welcher den Flecken mit dem Thalwege verbindet.
Ein hübsches Hôtel – das Hôtel Thagaste – ganz nahe dem gleichnamigen Platze, bot den erschöpften Reisenden einen guten Empfang. Dieses Mal erschienen ihnen die hier verbrachten Stunden nicht allzulang, und sie würden ihnen sogar zu kurz vorgekommen sein, wenn sie das malerische Soukhara hätten besuchen wollen. Natürlich schimpften Meister Antifer und Banquier Zambuco weidlich über die verlorne Zeit. Der Wagen durfte aber vor sechs Uhr morgens nicht weiter fahren.
»Beruhige Dich, sagte Gildas Tregomain zu seinem reizbaren Freunde. Wir werden zeitig genug in Bona sein, um morgen früh den Zug zu erreichen….
– Warum aber bei etwas mehr Eile nicht den von heute Abend? versetzte Meister Antifer.
– Da geht keiner ab, lieber Onkel, bemerkte Juhel.
– Was thut das?… Ist das ein Grund, hier in diesem Loche sitzen zu bleiben?
– Halt einmal, alter Freund, fiel der Frachtschiffer ein, hier ist ein Kieselstein, den ich für Dich aufgehoben habe. Der Deinige muß doch ganz abgenutzt sein, so lange kaust Du schon darauf herum!«
Gildas Tregomain übergab dem Meister Antifer dabei einen Kieselstein, so groß wie eine grüne Nuß, den er in der Medjerdah aufgelesen hatte und der nun sehr bald zwischen den Zähnen des Malouin knirschte.
Der Frachtschiffer schlug dann vor, er möchte ein Stück mitkommen, nur bis zu dem großen Platze der Ortschaft. Er verweigerte es und schlug in dem aus dem Reisesack hervorgeholten Atlas die Karte von Afrika auf, wo er sich, auf die Gefahr hin, seinen Verstand dabei zu ertränken, in die Gewässer des Busens von Guinea versetzte.
Gildas Tregomain und Juhel lustwandelten also allein nach dem nahegelegenen Thagaste-Platze, einem großen Viereck mit einzelnen Bäumen und umgeben von orientalischen Wohnstätten, nebst einigen, trotz der frühen Morgenstunde schon offnen Cafés, die von Eingebornen besetzt waren. Unter den ersten Strahlen der Sonne hatten die Nebel sich zerstreut, und es versprach ein zwar warmer, doch schöner Tag zu werden.
Auf dem Spazierwege war der
Weitere Kostenlose Bücher