Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Weiter draußen, auf Feldern und Abhängen, weideten Schafheerden und tummelten sich rabenschwarze Ziegen umher.
Wenn die Peitsche durch die Luft schwirrte, flatterten zuweilen einige Vögel am Wege auf, von denen sich schöne Sittige durch ihre lebhaften Farben auszeichneten. Diese gab es zu Tausenden, und wenn die Natur ihnen singen gelehrt hatte, so hatte sich doch der Mensch noch nicht bemüht, sie sprechen zu lehren. Die Fahrt verlief also inmitten eines Concertes, nicht eines Geplauders.
Das Wasser reichte zuweilen bis an die Wagenachsen heran. (S. 248.)
Die Pferde wurden recht oft gewechselt. Gildas Tregomain und Juhel stiegen an jedem Relais ab, um sich die Beine geschmeidig zu erhalten. Dann und wann that es der Banquier ihnen nach, sprach aber kein Wort mit seinen Reisegefährten.
»Das ist ein Männchen, bemerkte der Frachtschiffer, der auf die Millionen des Paschas ebenso zu brennen scheint, wie unser Freund Antifer!
– Wahrhaftig, Herr Tregomain, die beiden Erben sind einander würdig!«
Wenn Saouk einen Fuß auf die Erde setzte, bemühte er sich stets, etwas von den Gesprächen zu erlauschen, während er sich noch immer stellte, als ob er die Sprache nicht verstehe. Ben Omar blieb unbeweglich in seiner Ecke sitzen, nur beschäftigt mit dem Gedanken, daß er nun bald wieder zur See fahren mußte, und nach den kurzen Wellen des Mittelmeeres sollte er nun gar den großen Wogen des Atlantischen Meeres trotzen!
Auch Pierre-Servan-Malo rührte sich nicht von seinem Platz. Seine Gedanken weilten nur bei dem inmitten der siedenden afrikanischen Gewässer verlornen Eiland Nummer Zwei.
Am Abend, kurz vor Sonnenuntergang, kam noch eine Gruppe von Moscheen, Marabuts, weißen Kuppeln und spitzen Minarets in Sicht – das war der Flecken Tabourka, der, in grünem Rahmen eingeschlossen, noch ganz das Aussehen einer tunesischen Stadt bewahrt hat.
Hier hält die Post einige Stunden an. Die Reisenden fanden beim Relais ein Hôtel oder vielmehr eine Herberge, wo sie ein nur wenig schmackhaftes Essen vorgesetzt bekamen. An eine Besichtigung der Stadt war nicht zu denken. Von den sechs Personen hätten höchstens der Frachtschiffer und auf dessen Aufforderung vielleicht Juhel einen solchen Gedanken gehabt. Meister Antifer legte ihnen aber ein für allemal aus Herz, sich – um Verzögerungen zu vermeiden – ja nicht zu entfernen, und sie ließen sich das gesagt sein.
Um neun Uhr abends ging die Fahrt in sternenheller Nacht weiter. Immerhin ist es nicht ohne Gefahr, diese Gegenden zwischen Sonnenunter-und Sonnenaufgang zu durchfahren – Gefahren, die zum Theil durch den schlechten Zustand der Wege bedingt werden, doch theils auch von den hiesigen Straßenräubern, den Krumirs, oder von hungrigen Raubthieren drohen. In der dunkeln Stille der Nacht hörte man auch, wenn die Post am Rande von Wäldern vorüberrollte, gar deutlich das Brüllen von Löwen und das Bellen von Panthern Die Pferde wurden dadurch wild und es bedurfte der ganzen Kunst des Wagenlenkers, sie im Zaum zu halten. Wegen des Miauens der Hyänen, dieser anmaßlichen Katzen, machte man sich gar keine Sorge.
Um vier Uhr morgens erhellte sich endlich der Zenith wieder, so daß man die Einzelheiten der Umgebungen nach und nach deutlicher unterscheiden konnte.
Immer blieb die Aussicht ziemlich beschränkt, da lange graue Hügel sich ringsum ausdehnten. Das Thal von Medjerdah schlängelte sich ihnen zu Füßen, und zwischen Lorbeerrosen und blühenden Eucalypten floß, einmal ruhig murmelnd und dann wieder wild aufbrausend, der dasselbe durchziehende gelbe Bach dahin.
Der Theil der Regentschaft, der an Krumirien grenzt, ist besonders bergig. Hätte der Frachtschiffer Tirol ein wenig bereist, so würde er hier – abgesehen von der geringeren Höhe der Berge – sich in einem Alpenlande zu befinden geglaubt haben. Er war aber nicht in Tirol, nicht einmal in Europa, sondern entfernte sich davon mit jedem Tage mehr. Da erhoben sich seine Mundwinkel mehr und mehr, was ihm ein nachdenkliches Aussehen verlieh, und seine dicken Augenlider sanken herab als Zeichen der Unruhe des braven Mannes.
Zuweilen sahen der junge Kapitän und er einander lange Zeit an, und diese Blicke bildeten eine ganze Unterhaltung, die stumm geführt wurde.
An diesem Morgen fragte Meister Antifer seinen Neffen:
»Wo werden wir heute Abend sein?
– Beim Relais von Gardiman, lieber Onkel.
– Und wann kommen wir nach Bona?
– Morgen Abend.«
Der düstre Malouin
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