Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
unverständigen Erben, als Verbrecher zu denuncieren?…
– Als Verbrecher! wiederholte der Clergyman, der möglichst kalt blieb – wahrhaftig, meine Herren, Ihre Kühnheit wird nur von Ihrer Beschränktheit übertroffen! Sie können glauben, ich würde mich dazu hergeben, jene hundert Millionen auf der Erde zu verbreiten, den Sterblichen Mittel zu bieten, um hundert Millionen weitere Sünden zu begehen, Sie glauben, ich könnte allen meinen Lehren ins Gesicht schlagen und den Gläubigen der Freien Kirche von Schottland, die ebenso puritanisch wie streng ist, das Recht geben, mir jene Millionen ins Gesicht zu werfen?«
Ja, der Reverend Tyrcomel war prächtig anzuschauen bei diesem Ausbruche von Beredtsamkeit! Juhel konnte nicht umhin, den Eiferer zu bewundern, während sein Onkel eher bereit war, über ihn herzufallen.
»Ja oder nein, rief dieser mit geballten Fäusten vortretend, ja oder nein, wollen Sie uns den Brief des Paschas mittheilen?
– Nein.«
Meister Antifer kochte.
»Nein?… wiederholte er.
– Nein.
– Ah, Spitzbube!… Ich werde Dir diesen Brief zu entreißen wissen!«
Juhel mußte dazwischen treten, um seinen Onkel von Thätlichkeiten zurückzuhalten. Dieser stieß ihn heftig zurück… Er wollte den Clergyman, der ebenso entschlossen wie unerbittlich dastand, auf der Stelle erwürgen, wollte das Zimmer, den Schrank, seine Papiere durchsuchen… Da wurde er jedoch durch eine sehr einfache, aber bestimmte Antwort des Clergyman von jedem unüberlegten Schritt abgehalten.
»Es ist ganz unnütz, jenen Brief zu suchen, begann der Geistliche…
– Und warum? fragte der Banquier Zambuco.
– Weil ich ihn gar nicht mehr besitze.
– Und was haben Sie damit gemacht?
– Ich… ich habe ihn verbrannt.
– Ins Feuer… ins Feuer hat er den Brief geworfen! fuhr Meister Antifer auf. Der Elende! Einen Brief mit einem Geheimniß von hundert Millionen… mit einem Geheimnisse, das nun für immer unenthüllt bleiben wird!«
Die Sache verhielt sich wirklich so. Gewiß um die Versuchung abzuwenden, von diesem Briefe Gebrauch zu machen – einen Gebrauch, der allen seinen ethischen Grundsätzen zuwiderlief – hatte der Reverend Tyrcomel das wichtige Schriftstück schon vor mehreren Jahren verbrannt.
»Und nun, bitte… verlassen Sie mich!« sagte er zu den Besuchern, ihnen die Thüre zeigend.
Meister Antifer war wie vom Donner gerührt. Das Document zerstört… Die Unmöglichkeit, die Lage des Eilandes jemals festzustellen! Dem Banquier Zambuco ging es ähnlich, doch dieser weinte wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat.
Juhel mußte die beiden Erben erst nach der Treppe, und dann nach der Straße hinausschieben, dann schlugen alle Drei die Richtung nach Gibb’s Royal-Hôtel ein.
Als sie weg waren, erhob der Reverend Tyrcomel die Hände gen Himmel und dankte diesem, daß er ihn ausersehen hätte, diese Ueberschwemmung von Sünden. womit die Erde bedroht war, glücklich abzulenken.
Dreizehntes Capitel.
Worin man die dritte Rolle oder den »Verräther« dieser tragikomischen Geschichte verschwinden sehen wird.
So viel Erregung, Angst und Qual, Wechsel zwischen Furcht und Hoffnung, war entschieden mehr, als Meister Antifer aushalten konnte. Körperliche und seelische Kräfte, sogar die eines Kapitäns der Küstenfahrt, haben schließlich eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Der zu hart geprüfte Onkel Juhels mußte das Bett hüten, als man ihn ins Hôtel zurückgeführt hatte. Er verfiel in ein Fieber mit Irrereden, das recht ernste Folgen haben konnte. Die schrecklichsten Bilder erfüllten sein Gehirn, jetzt, wo seine Fahrt nach dem Glück statt zu endigen, nur unterbrochen worden war, die Nutzlosigkeit weiterer Nachsuchungen, der ungeheure Schatz, dessen Versteck niemals bekannt werden sollte, jenes dritte, in unbekannter Gegend verlorene Eiland, das einzige Schriftstück, das dessen genaue Lage enthüllen konnte, zerstört, vernichtet, verbrannt von diesem entsetzlichen Clergyman, jene Breite, die selbst die Tortur ihm nicht entreißen würde, weil er sie freiwillig, verbrecherischer Weise vergessen hatte!… Ja, es war zu befürchten, daß der erschütterte Verstand des Malouin diesem letzten Schlage nicht widerstehen würde, und auch der eiligst herbeigezogene Arzt hielt es nicht für unmöglich, daß er bald einer Geistesstörung verfallen könne.
Jedenfalls sollte es ihm an keiner Pflege mangeln. Sein Freund Gildas Tregomain und sein Neffe Juhel verließen ihn
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