Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Titel: Meister Antifer's wunderbare Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Loche schlummern sollten. Der Reverend Tyrcomel freilich kümmerte sich weder um Lob noch um Tadel, und blieb entschlossen, sich dadurch zu nichts bestimmen zu lassen.
    Man kann sich vorstellen, welchen Erfolg seine erste Predigt in der Tron Church nach dem Bekanntwerden dieser Vorgänge hatte. Am Abend des 30. Juni strömten die Gläubigen in hellen Haufen nach dieser Kirche. Im Innern derselben drückte man sich halb todt, und nicht weniger auf den Straßen, die vor ihrer Façade mündeten.
    Als der Prediger auf der Kanzel erschien, erscholl ein donnernder Applaus. Man hätte sich im Theater zu befinden geglaubt, wenn hier gerade der Vorhang aufgeht und ein berühmter Künstler von dem begeisterten Hurrah der Zuschauer empfangen wird. Hundert Millionen, zweihundert Millionen, dreihundert Millionen – schließlich ging’s bis an die Milliarde – stellte dieser wunderbare Tyrcomel vor, und der blies sie von sich wie ein Federflöckchen! Dann fing er sein gewöhnliches Thema an, wobei man eine Bemerkung hörte, die eine außerordentliche Wirkung hatte:
    »Einen Mann giebt es, der aus den Eingeweiden des Bodens mit einem einzigen Worte die Millionen hundertfach hervorlocken könnte; dieses einzige Wort spricht er aber nicht aus!«
    Diesmal befanden sich Meister Antifer und seine Gefährten aus wichtigen Gründen nicht unter den Zuhörern. Hinter einem Pfeiler des Schiffes hätte man aber einen Zuhörer von fremdländischem Aussehen wahrnehmen können, den niemand kannte, einen Mann von fünfunddreißig Jahren, mit schwarzem Haar und Bart, harten Zügen und wenig beruhigendem Aussehen. Daß er von der Rede des Reverend Tyrcomel etwas verstand, möchten wir nicht behaupten. Jedenfalls starrte er von seinem Standpunkt im Halbschatten aber den Prediger unausgesetzt an. Seine flammensprühenden Augen wandten sich niemals von ihm ab.
    Dieser Mann blieb bis zum Schluß der Predigt unbeweglich stehen, als aber deren letzten Worte unter dem Beifallsrufe der Zuhörer verklungen waren, drängte er sich durch die Menge, um sich dem Clergyman zu nähern. Wollte er ihn aufhalten, ihn aus der Kirche mit hinaus und bis nach seinem Haus in der Canongate begleiten? Das schien beinahe so, denn er arbeitete rücksichtslos mit den Armen, um den Prediger zu erreichen.
    An diesem Abend sollte der Reverend Tyrcomel nicht allein nach seinem Hause zurückkommen. Gegen tausend Personen gaben ihm das Geleite und hätten ihn am liebsten auf den Schultern weggetragen. Die genannte Persönlichkeit hielt sich dicht hinter ihm, ohne jedoch in die Rufe der andern einzustimmen.
    Vor seinem Hause angelangt, erstieg der populäre Kanzelredner die Stufen vor demselben und richtete an die Gläubigen noch einige Worte, die eine Salve von Hurrahs und Hipps hervorriefen. Dann verschwand er in der dunkeln Hausflur, ohne zu bemerken, daß ein anderer ihm nachfolgte.
    Die Menge zerstreute sich nur langsam und weithin dröhnten ihre Rufe durch die Straße.
    Während der Reverend Tyrcomel die schmale Treppe hinausging, die zum dritten Stockwerk führte, erstieg sie auch der Unbekannte mit so unhörbaren Schritten, als wenn nur eine Katze über die Stufen geschlüpft wäre.
    Auf seinem Vorsaal angelangt, begab sich der Clergyman in sein Zimmer, dessen Thür er zumachte.
    Der andre blieb auf dem Vorraume in einer dunkeln Ecke stehen und wartete.
    Was mochte er vorhaben?
    Am nächsten Morgen waren die andern Bewohner des Hauses nicht wenig verwundert, den Clergyman nicht zu gewohnter Stunde ausgehen zu sehen. Sogar den ganzen Vormittag blieb er unsichtbar. Mehrere Leute, die zu ihm eilten, klopften vergeblich an seine Thür.
    Das erschien verdächtig, und am Nachmittage begab sich einer der Wohnungsnachbarn zur Polizei. Mehrere Constabler erschienen im Hause des Clergyman, klopften ebenfalls an dessen Thür, und da sie keine Antwort erhielten, drückten sie diese mit den Schultern in der Weise ein, die für die Organe der öffentlichen Gewalt specifisch zu sein scheint.
    Welch ein Anblick! Hier hatte jemand die Thür mit einem Dietrich geöffnet… war in das Zimmer gedrungen und hatte dieses von oben nach unten durchwühlt. Der Schrank war aufgerissen, daraus fehlten verschiedene Kleidungsstücke, die auf der Erde verstreut umherlagen, der Tisch war umgeworfen… die Lampe lag zertrümmert in einer Ecke… Bücher und Papiere bedeckten den Fußboden, und dort… neben dem Bette, dessen Decke weggerissen war, lag festgebunden und mit verstopftem Munde… der

Weitere Kostenlose Bücher