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Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Titel: Meister Antifer's wunderbare Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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dann überhaupt noch gehenkt zu werden?
    Vom Morgen bis zum Abend fand Meister Antifer kein Ende. Gildas Tregomain und Juhel wachten abwechselnd bei ihm, wenn sie wegen einer Krisis nicht beide an seiner Seite bleiben mußten. Der Kranke wollte dann aus dem Bett springen, aus dem Zimmer und zum Reverend Tyrcomel laufen, ihm mit dem Revolver den Schädel zertrümmern – so daß der Frachtschiffer alle Gewalt anwenden mußte, um ihn zurückzuhalten.
    Trotz seines lebhaften Wunsches, die schöne Stadt Edinburg, die aus Steinen und Marmor erbaut ist, zu besichtigen, mußte Gildas Tregomain auf dieses Vergnügen vorläufig verzichten. Später, wenn sein Freund der Genesung entgegenging, oder wenn er wenigstens erst wieder ruhig geworden wäre, wollte er sich dafür schadlos halten… Dann gedachte er den Holyrood-Palast, die alte Residenz der schottischen Herrscher, zu besuchen, die Königszimmer, das Schlafgemach der Maria Stuart, im gleichen Zustande, wie es zur Zeit der unglücklichen Königin aussah. Er wollte die Canongate bis zu dem, so stolz auf seinem Basaltfelsen liegenden Schlosse hinaufwandern, wo das Zimmer noch gezeigt wird, in dem das Kind zur Welt kam, das einst Jacob VI. von Schottland und Jacob I. von England werden sollte. Er nahm sich vor, den »Arthur seat« zu besteigen, der, von Westen aus gesehen, einem ruhenden Löwen gleicht, und von dem aus man in der Höhe von zweihundertsiebenundvierzig Metern über dem Meere die ganze Stadt übersehen kann, die Stadt mit den vielen Hügeln, wie die der Cäsaren an der Tiber, und weiterhin bis nach Leith, dem eigentlichen Hafen Edinburgs an der Bai des Forth, bis zur Küste des Ben Lomond, des Ben Ledi, des Lammermoor – bis hinaus nach dem grenzenlosen Meere…
    Wie viele natürliche Schönheiten und solche, die des Menschen Hand geschaffen, gab es da, die der Frachtschiffer, trotz seines Kummers über den durch die Hartnäckigkeit des Clergymans verlornen Schatz. so gern bewundert hätte und an deren Besuch er nun gehindert war, durch die traurige Pflicht, die ihn ans Krankenlager des befehlerischen Kranken fesselte!
    So sah sich der vortreffliche Mann darauf beschränkt, durch das Hôtelfenster zu schauen, wobei er das berühmte Monument Walter Scott’s erblickte, dessen höchste Pinacelu sich fast zweihundert Fuß hoch erhoben, in Erwartung, daß sich alle seine Nischen mit den sechsundfünfzig Helden, die die Phantasie des großen schottischen Romanciers erschuf, besetzen würden.
    Ließ Gildas Tregomain den Blick dann die lange Perspective der Princes-Street nach dem Calton-Hill hinunterschweifen, so erkannte er die große, vergoldete, an einem Maste auf der Sternwarte aufgezogene Kugel, deren Herabsinken genau den Moment anzeigt, wenn die Sonne durch den Meridian der Landeshauptstadt geht.
    Ja, das blieb aber immer ein und dasselbe.
    Inzwischen hatte sich ein Gerücht verbreitet – erst in der Canongate und allmählich in der ganzen Stadt – das recht dazu geeignet war, die Popularität des Reverend Tyrcomel nur noch zu steigern. Man erzählte sich, daß der berühmte Kanzelredner, als ein Mann, der seine Handlungen und seine Reden in Uebereinstimmung hielt, eine Erbschaft von ungeheurem Werthe abgeschlagen habe. Erst sprach man von mehreren Millionen, dann gleich von mehreren hundert Millionen, die er der menschlichen Habgier entziehen wolle. Vielleicht half der Clergyman zur Verbreitung dieser ihm dienlichen Gerüchte selbst mit, indem er nicht darauf ausging, dieses Geheimniß zu bewahren. Jetzt bemächtigten sich die Journale der Angelegenheit, setzten sie des weitern auseinander, und bald war nur noch von dem Schatze Kamylk-Paschas die Rede, der unter dem Felsen eines unbekannten Eilands verscharrt lag. Was die Bezeichnung der Lage desselben betraf, so hing das, wenn man den öffentlichen Blättern, die der Reverend Tyrcomel nicht dementierte, glauben durfte, nur von ihm ab, obwohl in Wirklichkeit auch die beiden andern Erben dazu unumgänglich nöthig waren. Uebrigens kannte man die Einzelheiten der Geschichte keineswegs, und selbst der Name des Meister Antifer wurde dabei gar nicht genannt. Selbstverständlich billigten einige Zeitungen das würdige Auftreten eines der Doctoren der Freien Kirche von Schottland, während andre ihn wieder tadelten, denn eigentlich hätten ja diese Millionen, wenn sie Edinburg zu gute kamen, das Loos der vielen, vielen Armen der Stadt erleichtern können, statt daß sie nun, ohne jemand zu nützen, in ihrem

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