Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
übermitteln würde, deshalb sprach er gegen keinen Menschen von der Sache – nicht einmal gegen seinen Sohn.
Er wartete, wartete zwölf lange Jahre… nichts zeigte sich. Sollte er das Geheimniß wohl gar mit ins Grab nehmen, wenn er einst die Augen schloß, ohne dem Boten des Paschas seine Thür geöffnet zu haben?… Nein, das glaubte er wenigstens nicht. Er meinte vielmehr, demjenigen davon Mittheilung machen zu sollen, der einst an seiner Stelle Nutzen davon haben könnte, seinem Sohn Pierre-Servan-Malo. Als der alte Seebär dann 1854, das heißt, im einundachtzigsten Lebensjahre, sein Ende herannahen fühlte, zögerte er nicht mehr, seinen »Jungen« und Erben über die Absichten Kamylk-Paschas zu unterrichten, und ließ ihn schwören, niemals diese Breitenangabe zu vergessen, sich die Unterschrift mit dem doppelten
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genau zu merken und mit aller Zuversicht dem Erscheinen des betreffenden Boten entgegenzusehen.
Dann ging der brave Mann, beweint von den Seinen, betrauert von allen, die ihn gekannt hatten, zu seinen Vätern ein und wurde im Erbbegräbniß der Familie beigesetzt.
Bei der Gemüthsart Meister Antifer’s kann man sich leicht vorstellen, welchen Eindruck jene Mittheilungen auf seine an sich lebhafte Einbildungskraft machten und welch’ brennende Wünsche sie in ihm wachriefen. Er verzehnfachte in Gedanken die Millionen, die sein Vater angenommen hatte, und machte aus Kamylk-Pascha so einen Nabob aus Tausend und eine Nacht. Er träumte nur noch von Gold und Edelsteinen, die in einer verhexten Grube verscharrt lagen. Seiner natürlichen Ungeduld entsprechend, konnte er sich freilich die Zurückhaltung, die sein Vater bewahrt hatte, nicht auferlegen. Zwölf Jahre lang kein Wort verlauten zu lassen, ohne sich jemand anzuvertrauen, nicht den Versuch zu machen, zu erfahren, was aus dem Unterzeichner der zwei
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geworden sein möge…. Der Vater hatte es über sich gebracht… der Sohn war dazu unfähig. Als er daher 1855 einmal ins Mittelmeer kam, erkundigte er sich nach dem Anlaufen im Hafen von Alexandria mit aller ihm möglichen Geschicklichkeit nach jenem Kamylk-Pascha. Daß er existiert hatte, dafür lieferte ja der dem alten Seemanne zugegangene Brief von seiner eignen Hand den untrüglichen Beweis. Ob er noch existierte, das war eine schwierig zu beantwortende Frage. Was er erfuhr, lautete ziemlich entmuthigend, denn keiner wußte etwas weiteres, als daß Kamylk-Pascha vor etwa zwanzig Jahren verschwunden und seitdem verschollen sei.
Das war in der That ein harter Stoß, den das Lebensschifflein Antifer’s erhielt; es ging davon wenigstens nicht unter. Jedenfalls mußte Kamylk-Pascha 1842 jenem Briefe nach noch gelebt haben. Wahrscheinlich hatte er Gründe, denen er nicht nachzuforschen brauchte, gehabt, die ihn zum Verlassen des Landes zwangen. Zur passenden Zeit würde sich der Bote, der Ueberbringer der interessanten Länge, schon einstellen, und da sein Vater nicht mehr auf dieser Erde weilte, würde er, der Sohn, jenen empfangen und natürlich mit Freuden aufnehmen.
Meister Antifer kam also nach Saint-Malo zurück und äußerte vorläufig, so schwer ihm das auch wurde, gegen niemand etwas von der Sache. Er blieb seinem Berufe getreu, bis er ihn 1857 gänzlich aufgab, und seitdem inmitten seiner Familie lebte.
Diese erschlaffende Existenz mit dem Mangel an ernster Beschäftigung wurde freilich zur Veranlassung, daß er einer wahrhaft fixen Idee verfiel. Jene vierundzwanzig Grad neunundfünfzig Minuten flatterten ihm im Kopfe herum, wie Mücken vor den Augen. Endlich ging ihm die Zunge durch. Er vertraute das Geheimniß seiner Schwester, seiner Nichte, seinem Neffen, und auch Gildas Tregomain an. Natürlich währte es nun nicht lange, bis die ganze Stadt, bis über Saint-Servan und Dinard hinaus, davon Kenntniß bekam. Jedermann wußte, daß eines Tages ein ungeheures, ganz unabschätzbares Vermögen dem Meister Antifer zufallen mußte. Von da an klopfte kein Mensch an seine Thür, ohne daß dieser erwartete, mit den Worten begrüßt zu werden:
»Da bringe ich. Ihnen die ersehnte Länge!«
So verstrichen einige Jahre. Von Kamylk-Paschas Boten kam kein Lebenszeichen, kein Fremdling hatte die Schwelle seines Hauses überschritten, und das brachte unsern Meister Antifer immer mehr in Extase. Seine Familie glaubte gar nicht mehr an das Vermögen, und hielt den alten Brief für eine einfache Mystification. Ohne sich’s merken zu lassen, hielt Gildas Tregomain ihn für einen Naiven erster
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