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Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Meister Antifer's wunderbare Abenteuer

Titel: Meister Antifer's wunderbare Abenteuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Wirst Du nun aufhören, mir zu widersprechen?
    – Nein, bester Onkel.«
    Trotz der verzweifelten Winke Nanons war die junge Bretagnerin entschlossen, ihren Vetter gegen die ungerechten Beschuldigungen dieses, in seinen Ausdrücken nicht gerade wählerischen Onkels in Schutz zu nehmen.
    Offenbar waren Blitz und Donner jetzt nicht mehr weit. Gab es denn aber keinen Ableiter, der geeignet gewesen wäre, alle in den Reservoirs des Meister Antifer angesammelte Elektricität auszugleichen?
    Doch vielleicht. Deshalb beeilten sich auch Nanon und ihre Tochter, ihm zu gehorchen, als er mit Stentorstimme rief:
    »Holt mir Tregomain!«
    Sie verließen das Zimmer, öffneten die Hausthür und gingen, den Verlangten aufzusuchen.
    »Guter Gott! Wenn wir ihn nur antreffen!« sagten sie für sich.
    Er war zum Glück zu Hause, und fünf Minuten später saß er dem Meister Antifer gegenüber.
    Gildas Tregomain, einundfünfzig Jahre alt. Aehnlichkeiten mit seinem Nachbar: ist Hagestolz wie dieser und hat zu Wasser gefahren wie dieser; fährt nicht mehr wie dieser, ist Malouin wie dieser. Hiermit hören die Aehnlichkeiten auf. Gildas Tregomain ist nämlich eben so ruhig und gelassen, wie Meister Antifer lebhaft, ebenso viel Philosoph, wie Meister Antifer es wenig ist, ebenso fügsam, wie Meister Antifer halsstarrig. So viel bezüglich der geistigen Seite. Physisch sind die beiden Genossen einander wenn möglich noch unähnlicher. Sehr aneinander gefesselt, ist diese Freundschaft Pierre Antifer’s gegen Gildas Tregomain recht erklärlich, während sie seitens des letzteren gegen Pierre Antifer nicht so tief zu wurzeln scheint. Der Freund eines solchen Mannes zu sein, hat ja zuweilen auch sein Unangenehmes.
    Wir sagten eben, daß auch Gildas Tregomain zu Wasser gefahren sei, es ist aber ein Unterschied zwischen Seefahrer und Seefahrer. Wenn Schiffer Antifer alle bedeutenderen Meere der Erde, zum Theil auf Kauffahrteischiffen, zum Theil in der Küstenfahrt besucht hatte, so traf das nicht auf seinen Nachbar zu. Gildas Tregomain, als Sohn einer Witwe vom Staatsdienst frei, war nicht als Matrose gefahren und überhaupt niemals auf dem Meere gewesen.
    Nein, niemals. Den Canal la Manche hatte er sich von der Höhe von Cancale oder vom Cap Frehel aus angesehen, sich aber nie auf denselben hinausbegeben. In der gemalten Cabine eines Lastschiffes geboren, war auch sein Leben in einem solchen verlaufen. Erst Schiffsführer, dann Eigner der »Charmante Amélie«, fuhr er die Rance auf und ab, von Dinard nach Dinan, von Dinan nach Plumangat, um dann mit einer Ladung Bretter, Wein oder Kohlen, je nach Bedarf, zurückzufahren. Kaum waren ihm die andern Küsten der Departements von l’Ille-et-Vilaine und der Côtes-du-Nord bekannt geworden. Er war ein Süßwasser-Seemann, nichts weiter, während der Meister Antifer durch und durch Salzwasser-Seemann war – ein simpler Lastfuhrmann, gegenüber einem Schiffer von der Küstenfahrt. Deshalb senkte er auch die Flagge in Gegenwart seines Nachbars und Freundes, der sich gar nicht genierte, ihn in ehrerbietiger Entfernung zu halten.

    Gildas Tregomain bewohnte ein kleines nettes Häuschen, etwa hundert Schritte von dem des Meister Antifer und am Ende der Toulousestraße, nahe dem Bollwerk. Es bot von der einen Seite Aussicht auf die Mündung der Rance und auf der andern hinaus auf’s offne Meer. Sein Eigenthümer war ein großer starker Mann mit fast einem Meter Schulterbreite und fünf Fuß sechs Zoll Körperlänge, einem Brustkasten wie ein Reisekoffer, stets bekleidet von einer Weste mit einer Doppelreihe von Beinknöpfen, nebst braunem, stets sauberem Kittel, der auf dem Rücken und an den Aermeln weite Falten schlug. Aus dieser Büste traten ein Paar starke Arme hervor, die einem Manne von mittlerer Größe hätten als Schenkel dienen können und die in ein Paar Hände ausliefen, die für einen Grenadier der alten Garde groß und fest genug gewesen wären. Begreiflicher Weise erfreute sich Gildas Tregomain unter solchen Umständen auch einer wahrhaft herkulischen Kraft. Er war jedoch ein gutmüthiger Herkules. Seine Kraft hatte er niemals mißbraucht, und er drückte Jedem die Hand, aus Furcht, sie zu zerbrechen, nur mit dem Daumen und dem Zeigefinger. Seine Kraft war eben eine latente – sie trat niemals gewaltthätig hervor.
    Will man ihn mit einer Maschine vergleichen, so war er nicht der Dampfhammer, der das glühende Eisen mit furchtbarem Schlage bearbeitet, sondern vielmehr eine hydraulische

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