Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
sich, laßt Euch den guten Wind nicht von der Hand gehen!«
Damit wandte er sich nach dem Fremdling und wies nach einer ganz verlassnen Stelle am Ausgang des Hafens.
»Kommen Sie mit dorthin, sagte er, dort werden wir allein genug sein, über geheime Angelegenheiten sprechen zu können. Doch schnell, es ist so verteufelt kalt, daß es einem ins Gesicht schneidet!«
Sie brauchten nur zwanzig Schritte weit zu gehen. Auf den am Quai liegenden Fahrzeugen befand sich keine lebende Seele. Der dienstthuende Zollbeamte wandelte in der Entfernung einer halben Kabellänge von ihnen umher.
Sehr bald hatten Beide die einsame Ecke erreicht und ließen sich auf einem Maststumpf nieder.
»Paßt Ihnen die Oertlichkeit, Herr Ben Omar? fragte Pierre-Servan-Malo.
– Sehr gut… o, sehr gut!
– Nun, so sprechen Sie sich frei von der Leber weg aus und nicht nach Art jener Sphinxe, die sich ein Vergnügen daraus machen, der armen Welt Räthsel aufzugeben.
– Ich habe keine Hinterhalte, Herr Antifer, und werde ganz frei sprechen,« erwiderte Ben Omar, in einem Tone, der mit wirklicher Offenheit nicht viel Verwandtschaft zu haben schien.
Er hustete zweimal und begann darauf:
»Sie haben einen Vater gehabt?…
– Ja, wie das bei uns zu Lande so Sitte ist. Nun, und?
– Ich habe gehört. daß dieser gestorben sei?
– Schon vor acht Jahren. Weiter?…
– Er ist zur See gefahren?…
– Jedenfalls, da er Seemann war. Nun, und…?
– In welchen Meeren?…
– In allen. Und?…
– Nun… da ist er wohl auch nach der Levante gekommen?
– Ins Morgenland wie ins Abendland. Nun?…
– Hat er sich während seiner Reisen, fuhr der Notar fort, der in diesen kurzen Antworten noch keinen richtigen Anknüpfungspunkt fand, hat er sich da vor sechzig Jahren nicht auch an den Küsten Syriens befunden?…
– Vielleicht ja… vielleicht nein. Nun, und…?«
Diese ewigen »Nun, und?« empfand Ben Omar wie Peitschenhiebe in die Seiten und sein Gesicht verzog sich dabei in der unglaublichsten Weise.
»Laviere nur, Männchen, immer laviere, so viel es Dir beliebt, dachte Meister Antifer. Brauchst nicht auf mich als Lootsen zu rechnen.«
Der Notar begriff, daß er mehr auf die Hauptsache zusteuern müsse.
»Haben Sie Kenntniß davon, fuhr er fort, daß Ihr Vater Gelegenheit gehabt hätte, jemand einen Dienst zu leisten…. einen sehr wichtigen Dienst… gerade an der Küste von Syrien?
– Daß ich nicht wüßte. Nun, und?
– Ah! stieß Ben Omar hervor, der über diese Antwort höchlichst erstaunt war. Und Sie wissen auch nicht, ob er je einen Brief von einem gewissen Kamylk-Pascha erhalten hat?
– Von einem Pascha?
– Ja.
– Mit wie vielen Roßschweifen?
– Darauf kommt nichts an, Herr Antifer. – Wichtig ist nur, ob Ihr Vater jemals einen Brief erhielt, der Mittheilungen von sehr, sehr großem Werthe enthielt?
– Davon weiß ich nichts. Nun, und?…
– Haben Sie denn seine Papiere nicht durchgesehen?… Es ist unmöglich, daß er diesen Brief vernichtet hätte…. Er enthielt, wie ich Ihnen wiederhole, eine Nachricht von höchster Wichtigkeit….
– Für Sie, Herr Ben Omar?…
– Auch für Sie, Herr Antifer, denn… nun ja, gerade um diesen Brief zurückzuerhalten, bin ich hier… den Brief, der den Gegenstand eines Handels bilden könnte.«
Unserm Pierre-Servan-Malo war es nun vollständig klar, daß irgend welche Leute, deren Mandatar Ben Omar war, Kenntniß von der Längenangabe haben müßten, die ihm fehlte, um die Lage jener Millionen bestimmen zu können.
»Die Spitzbuben! knurrte er; die wollen mir mein Geheimniß entlocken, mir den Brief abkaufen und nachher meinen Geldkasten ausgraben.«
Vielleicht hatte er damit nicht Unrecht. Bei diesem Punkt ihres Zwiegesprächs vernahmen Meister Antifer und Ben Omar die Schritte eines Mannes, der von ihrer Seite herkommend um die Ecke des Quais in der Richtung nach dem Bahnhofe ging. Sie schwiegen, oder der Notar ließ wenigstens einen eben angefangenen Satz unvollendet. Man hätte auch glauben können, daß er auf genannten Vorüberkommenden einen Seitenblick warf und ein verneinendes Zeichen machte, wodurch jener unangenehm berührt wurde. Jedenfalls machte dieser ein Zeichen unerwarteter Enttäuschung und verschwand bald, indem er seinen Weg schleuniger fortsetzte.
Es war ein Fremder von etwa dreiunddreißig Jahren in ägyptischer Tracht, von braunem Teint, mit schwarzen blitzenden Augen, von übermittlerer Größe, starkem Körperbau, entschlossenem
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