Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
aus dem Himmel zurückkehrte; er hütete sich aber, seine Ansicht vor dem Meister Antifer in dieser biblischen Fassung auszusprechen.
Enogate und Juhel dachten in ihrem Glück überhaupt nicht an einen Abgesandten Kamylk-Paschas, der für sie als rein imaginäres Wesen galt. O, wenn kein andrer als dieses Männchen die bevorstehende Hochzeit stören oder verzögern sollte!… Nein, sie bereiteten sich zur Abfahrt in das schöne Land der Ehe, von dem der junge Mann die Länge und das junge Mädchen die Breite kannte, das Land, das sie so leicht zu finden wußten, wenn sie jene beiden geographischen Elemente combinierten… und diese Combination sollte am fünften April vor sich gehen.
Meister Antifer war inzwischen immer ungeselliger und unzugänglicher geworden. Das Datum für die Trauung rückte mit jedem Tage um vierundzwanzig Stunden näher. Nur noch wenige Wochen, und die Verlobten waren durch unlösliche Bande vereinigt.
Wahrhaftig ein schönes Band! Und ihr Onkel hatte für Beide von den stolzesten Verbindungen für’s Leben geträumt, wenn er erst reich wäre. Denn wenn er jene Millionen, jene unfindbaren Millionen einmal im Kasten hatte, so dachte er gewiß nicht daran, allein den Genuß davon zu haben, auf großem Fuße zu leben, etwa in einem Palaste zu wohnen, in Equipagen umherzukutschieren, aus goldnen Schüsseln zu essen und Diamantknöpfchen im Vorhemdchen zu tragen…. Du lieber Himmel, nein! Er wollte Juhel an eine Prinzessin und Enogate natürlich an einen Prinzen verheiraten. Das war nun einmal die Marotte des braven Mannes. Dieser Lieblingswunsch schien aber nicht in Erfüllung gehen zu sollen, wenn der Bote nicht noch in letzter Minute eintraf und keine Nachricht Kamylk-Paschas – wegen Mangels weniger Ziffern – dessen Schätze in seinen Kasten ausleerte.
Meister Antifer wüthete nicht mehr, er konnte sich aber auch nicht mehr im Hause halten, was für die Ruhe der Uebrigen ja nur vortheilhaft war. Man sah ihn nur zur Stunde des Essens, und auch da schlang er alles eiligst hinunter. Bei jeder passenden Gelegenheit bot sich ihm der gute Tregomain als Ableiter dar, in der Hoffnung, die innere Aufregung seines Freundes – der ihn übrigens stets zum Teufel schickte – etwas zu besänftigen. Jetzt konnte man wohl befürchten, daß der Mann geisteskrank würde. Seine einzige Beschäftigung bestand nur noch darin. allemal bei Ankunft der Züge den Bahnhof abzusuchen, beim Eintreffen von Dampfern die Quais des Sillon unsicher zu machen, in der Erwartung, eine etwas exotische Erscheinung auftauchen zu sehen, die er für den Abgesandten Kamylk-Paschas halten konnte; wahrscheinlich einen Aegypter, vielleicht einen Armenier, kurz, einen an seinem Typus, an seiner Sprache, seiner Tracht erkennbaren Ausländer, der einen Bahnhofsbeamten nach der Adresse Pierre-Servan-Malo Antifer’s fragen würde.
Nichts! Nein, nichts dieser Art! Leute aus der Normandie, Bretonen, Engländer oder Norweger, so viel man verlangte. Von einem Reisenden aus dem Orient Europas, einem Malteser, einem Levantiner… keine Spur.
Am 9. Februar, nach seinem Frühstück, wobei er die Lippen, außer zum Essen und Trinken, gar nicht aufgethan hatte, begab sich Meister Antifer wieder auf seine Promenade, die Promenade eines Diogenes, der einen Menschen sucht. Wenn er nicht, wie der große Philosoph des Alterthums, am hellen Tage eine angezündete Laterne mit sich führte, hatte er doch zwei vorzügliche Augen mit heller Pupille, die ihn den, den er erwartete, schon von ferne her zu erkennen gestatteten.
Rasch wanderte er durch die engen, von hohen Granithäusern begrenzten und mit spitzen Steinen gepflasterten Straßen der Stadt dahin, er begab sich durch die Rue de Bay nach dem Square Duguay Trouin, las die Stunde vom Zifferblatt an der Unterpräfectur ab, wandte sich nach dem Chateaubriand-Platze, schlüpfte um den Kiosk, unter dessen dichte blätterlose Platanen, eilte durch das Thor in der Stadtmauer und gelangte damit nach dem Quai des Sillon.
Meister Antifer guckte nach rechts und nach links, vor und hinter sich und blies gewaltige Tabakswolken aus seiner Pfeife in die Luft. Man grüßte ihn von hier und von da, denn er gehörte zu den Notablen von Saint-Malo und war ein geschätzter und hochgeachteter Mann. Viele Grüße erwiderte er freilich gar nicht, da er sie nicht bemerkte, so versessen, so zerstreut war er in Folge seiner gespannten Erwartung.
Im Hafen lagen viele Fahrzeuge, Segler und Dampfer, Dreimaster,
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