Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
überbringen. Das wird aus dem Folgenden bald klar werden.
Welcher Beweggrund Ben Omar auch leiten mochte, ob er nur auf Anregung der natürlichen Erben des Verstorbenen handelte oder nicht, jedenfalls sah er ein, daß jener Brief nur gegen schweres Geld zurückgegeben werden würde. Doch fünfzig Millionen!…
Er begnügte sich also eine süßlich pfiffige Miene anzunehmen.
»Sie sagten, glaub’ ich, fünfzig Millionen, Herr Antifer?
»Für wieviel?« fragte der Notar. (S. 70.)
– Ganz richtig.
– O, das ist wirklich das lustigste Ding von den Welt, das mir je vorgekommen ist.
– Herr Ben Omar, wollen Sie vielleicht etwas hören, was noch weit lustiger klingt?
– Recht gern.
– Nun, Sie sind ein alter Filou, ein alter ägyptischer Spitzbube, ein altes Nilkrokodil…
– Mein Herr!…
– Nun, ‘s ist schon gut!… Sie versuchten im trüben Wasser zu fischen und wollten mir mein Geheimniß entlocken, statt mir das Ihrige mitzutheilen, zu welchem Zwecke Sie jedenfalls hierhergeschickt wurden.
Jetzt ging Meister Antifer… (S. 75.)
– Sie könnten annehmen?…
– Ich nehme nur an, was in der That so ist.
– Nein, was Sie sich nur einbilden.
– Genug, abscheulicher Betrüger!
– Mein Herr…
– Ich nehme das Wort abscheulich zurück! Soll ich Ihnen auch sagen, was Ihnen von meinem Briefe vor allem am Herzen liegt?«
Der Notar spannte schon darauf, daß Pierre-Servan-Malo sich bei Vollendung dieses Satzes verrathen würde. Jedenfalls blitzten seine Augen wie ein paar Karfunkelsteine auf.
Doch nein, so aufgebracht der Malouin auch war, so daß sein Gesicht purpurroth glühte, er wußte sich davor zu hüten, denn er sagte nur:
»Ja wohl, was Ihnen am Herzen liegt, alter Omar, schlauer Fuchs, das sind nicht die paar Worte über den Dienst, den mein Vater dem Herrn, der sich mit einem doppelten
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unterschrieb, geleistet hat… nein, das sind vier Ziffern darin… verstehen Sie mich?… jene vier Ziffern…
– Vier Ziffern? murmelte Ben Omar.
– Natürlich… die vier Ziffern, die er enthält und die Sie anders als für zwölfeinhalb Millionen jede nicht erfahren. Doch, darüber haben wir nun genug geschwatzt. Gute Nacht!«
Damit stopfte Meister Antifer die Hände in die Taschen und wandte sich weg, indem er sein Lieblingslied pfiff, dessen Ursprung keine Menschenseele kannte und das schon mehr einem Hundegebell, als einer Melodie von Auber ähnelte.
Ganz versteinert blieb Ben Omar wie eine Granitsäule oder ein Meilenstein auf der Stelle stehen. Er, der darauf gerechnet hatte, mit dieser Sorte von Matrosen wie mit einem beschränkten Fellah fertig zu werden – und Mohammed weiß, daß er diese armen Bauersleute tüchtig gerupft hatte, wenn ihr Unstern sie in seine Hände lieferte.
Mit verdutztem Blicke sah er den Malouin schweren Trittes dahingehen, sich in den Hüften wiegen und bald die eine, bald die andre Schulter emporhieben, wozu der Mann gestikulierte, als hätte er seinen Freund Tregomain vor sich, dem er eben in gewohnter Weise seine Meinung sagte.
Plötzlich blieb Meister Antifer noch einmal stehen. War er auf ein Hinderniß getroffen? Ja!… Das Hinderniß bestand in einem Gedanken, der ihm durch den Kopf flog. Es handelte sich um ein Vergessen, das mit wenigen Worten wieder gut gemacht werden konnte.
So wandte er sich also an den Notar zurück, der noch immer dastand wie die reizende Daphne, als sie zum großen Leidwesen Apollos in einen Lorbeerbaum verwandelt worden war.
»Herr Ben Omar? begann er.
– Was steht zu Ihren Diensten?
– Ich habe noch etwas vergessen, was ich Ihnen ins Ohr flüstern wollte.
– Und das wäre?…
– Ja, die Nummer….
– Aha, die Nummer? wiederholte Ben Omar.
– Jawohl, die Straßennummer meines Hauses…. Drei, Rue des Hautes-Salles. Sie müssen doch meine Adresse kennen, und Sie können sich des freundlichsten Empfanges versichert halten, wenn Sie mich aufsuchen…
– Wenn ich Sie aufsuche…
– Natürlich mit den fünfzig Millionen in der Tasche!«
Jetzt ging Meister Antifer wirklich seines Wegs, während der Notar fast zusammensank und Allah und seinen Propheten um Hilfe anflehte.
Siebentes Capitel.
Worin eine andre, wenig anziehende Persönlichkeit, Namens Nazim, ihren Zorn über Ben Omar ausgießt.
In der Nacht vom 9. zum 10. Februar wären die Reisenden im Hôtel de l’Union, die die Zimmer nach dem Platz Jacques-Coeur inne hatten, gewiß aus dem tiefsten Schlafe geweckt worden, wenn die Thür des
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