Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Briggs, Goëletten, Lugger und Sardellenboote. Es war jetzt die Zeit der Ebbe und mußten zwei bis drei Stunden vergehen, ehe die vom Semaphor gemeldeten Schiffe von der hohen See her einlaufen konnten.
Meister Antifer hielt es daher für wichtiger, inzwischen im Bahnhof die Ankunft des nächsten Schnellzuges abzuwarten, immer in der Hoffnung, heute mehr als vorher vom Glück begünstigt zu werden.
Nun liegt es aber einmal in der schwachen Menschennatur, gerade wenn es darauf ankommt, das Richtige nicht zu treffen. Während Meister Antifer die Vorübergehenden musterte, bemerkte er nämlich nicht, daß ihm schon seit zwanzig Minuten ein gewisser Jemand nachfolgte, der seine Aufmerksamkeit wohl hätte erwecken müssen.
Es war das ein Fremder mit rothem Fez nebst schwarzer Troddel auf dem Haupte, gehüllt in einen langen einreihigen, bis zum Hals hinausreichenden Rock und bekleidet mit weiter Pluderhose, die auf die breiten Schuhe – eigentlich Babuschen – herabfiel. Zu jung war der Mann gerade nicht… so gegen sechzig bis fünfundsechzig Jahre, dazu etwas gekrümmt in der Haltung, während er die knochigen Hände auf der Brust liegen hatte. Mochte dieses Männchen nun der erwartete Levantiner sein oder nicht, jedenfalls kam er unzweifelhaft aus den Ländern, die das östliche Mittelmeer bespült… es war also ein Aegypter, ein Armenier, ein Syrier, ein Ottomane oder dergleichen.
Kurz, der Fremde folgte dem Meister Antifer zögernden Schrittes und schien jetzt an ihn herantreten, dann wieder, aus Furcht, einen Irrthum zu begehen, mehr zurückbleiben zu wollen. Am Ende des Quais beschleunigte er seinen Schritt, überholte den Malouin, und kehrte dann so plötzlich wieder um, daß beide Massen aneinander prallten.
»Zum Teufel mit dem Tölpel!« (S. 66.)
»Zum Teufel mit dem Tölpel!…« rief Meister Antifer aufbrausend.
Dann rieb er sich die Augen, überspannte diese in Stirnhöhe als Schirm mit der Hand und stieß – wie Kugeln aus einem Revolver – die Worte hervor:
»Hm… Ah?… Oho?… Er?… Sollte er’s sein?… Ganz bestimmt, das ist der Abgesandte des doppelten
K.
…«
Wenn es der besagte Abgesandte war, muß man zugeben, daß er nicht ganz danach aussah mit dem bartlosen Gesicht, den runzligen Wangen, der spitzen Nase, den abstehenden Ohren, dünnen Lippen und unsteten Augen, mit dem Teint einer alten, überreifen Citrone – kurz, mit einer Erscheinung, die bei der aus dem winzigen Antlitz leuchtenden Arglist kein besondres Vertrauen einzuflößen vermochte.
»Hab’ ich nicht die Ehre, Herrn Antifer – wie mir ein gefälliger Matrose sagte – vor mir zu sehen? fragte er in gebrochener Sprache, die indeß, selbst für einen Bretonen, vollkommen verständlich war.
– Antifer, Pierre-Servan-Malo! lautete die Antwort. Und Sie?…
– Ben Omar.
– Ein Aegypter?…
– Und Notar aus Alexandrien, der eben im Hôtel de l’Union, Poisonneriestraße, abgestiegen ist.«
Ein Notar mit Amtssiegel! Offenbar sahen die Notare im Morgenlande anders aus als die Herren bei uns, die ohne weißes Halstuch, schwarze Kleidung und goldne Brille nicht denkbar sind. Es war ja schon erstaunlich genug, daß es unter den Unterthanen der Pharaonen überhaupt officielle Notare gab.
Meister Antifer zweifelte gar nicht mehr, den geheimnißvollen Boten, den Ueberbringer der berühmten Länge, den seit zwanzig Jahren durch den Brief Kamylk-Paschas angekündigten Messias vor sich zu haben. Statt, wie man fürchten könnte, diesen Ben Omar mit Fragen zu bestürmen, bewahrte er sich so viel Selbstbeherrschung, ihn damit kommen zu lassen, da die auf diesem Gesicht einer lebenden Mumie ausgeprägte Doppelzüngigkeit in ihm einen argen Verdacht erweckte. Gildas Tregomain hätte seinen hitzigen Freund niemals einer so klugen Zurückhaltung für fähig gehalten.
»Nun, was wünschen Sie von mir, Herr Ben Omar? fragte er, mit einem scharfen Blick auf den Aegypter, der sich in Verlegenheit hin und her wand.
– Einen Augenblick unter vier Augen, Herr Antifer.
– Muß das bei mir zu Hause sein?
– Nein, es ist wünschenswerth, an einem Orte, wo uns niemand hören kann.
– Es handelt sich also um ein Geheimniß?
– Ja und nein, oder vielmehr um einen Handel….«
Meister Antifer zitterte bei diesem Worte. Wenn dieser Kauz ihm seine Länge brachte, wollte er sie offenbar nicht gratis ausliefern, und doch erwähnte der mit dem doppelten
K
signierte Brief keines Handels.
»Achtung am Steuer, dachte er für
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