Meister Antifer's wunderbare Abenteuer
Zukunft. Er wußte ja nicht, daß er unter den Augen einer Art Geheimpolizisten des Imanats reiste, und auch seine Begleiter hatten gegenüber dem höflichen und gefälligen Araber, der sich doch nicht aufdrängte, irgendwelchen Verdacht nicht geschöpft.
Saouk hatte für den unauffälligen Vorgang aber schärfere Augen. Der des Arabischen etwas mächtige, angebliche Schreiber Ben Omar’s konnte mit einigen, auch nach Sohar reisenden Händlern dann und wann etwas plaudern. Diese Leute, denen jener Polizeibeamte nicht unbekannt war, machten aus dessen Eigenschaft kein Geheimniß. Saouk ahnte, daß der Mann ganz besonders um Meister Antifer’s willen hier sein möchte; das verursachte ihm doch einige Sorge. Wollte er die Erbschaft Kamylk-Paschas nicht in die Hände eines Franzosen fallen lassen, so gönnte er sie dem asiatischen Iman doch ebensowenig. Der Beamte wendete übrigens den beiden Aegyptern keinerlei Aufmerksamkeit zu, er konnte ja auch gar nicht wissen, daß sie mit den drei Europäern dem nämlichen Ziele zustrebten. Landsleute von ihnen kamen ja öfters nach Mascat, und auf diese hatte man nicht besonders Acht – ein Beweis, daß die Polizei doch noch nicht ganz vollkommen ist, nicht einmal im Imanat Seiner Hoheit.
Nach anstrengendem, nur durch die Mittagspause unterbrochenem Tagesmarsche machte die Karawane kurz vor Sonnenuntergang Halt.
Hier zeigte sich, neben einer halb ausgetrockneten Lagune, eine der Naturmerkwürdigkeiten dieser Gegenden: ein Baum, unter dem die ganze Karawane Platz fand, und der am Mittag, wegen seines jeden Sonnenstrahl abwehrenden Laubdaches, recht wünschenswerth gewesen wäre.
»Einen solchen Baum hab’ ich doch mein Lebtag noch nicht gesehen! rief Juhel, als sein Maulthier unter den ersten Zweigen von selbst still stand.
– Und ich werde seinesgleichen wohl in meinem Leben nicht wiedersehen! antwortete der Frachtschiffer, der sich auf seinem niederknieenden Kameel erhob.
– Was sagst Du dazu, lieber Onkel?« fragte Juhel.
Der »liebe Onkel« sagte indeß gar nichts, einfach weil er nichts davon gesehen hatte, was das Erstaunen seines Freundes und seines Neffen erweckte.
»Mir scheint, ließ sich Gildas Tregomain vernehmen, wir haben da in Saint-Pol de Léon, in einer Ecke unsrer Bretagne, einen Weinstock, der auch ziemlich berühmt ist….
– Ja, Herr Tregomain, doch mit dem Baume hier hält er keinen Vergleich aus!«
Nein, so groß der Weinstock von Saint-Pol de Léon auch sein mochte, gegen diesen Goliath der Pflanzenwelt hätte er doch wie ein einfacher Busch ausgesehen.
Es war das eine Banane – eine Art Feigenbaum – mit einem unglaublich dicken Stamme, der im Umfange wohl hundert Fuß messen mochte. Von diesem thurmähnlichen Stamme gingen in etwa fünfzehn Fuß Höhe eine Menge Aeste ab, die sich hundertfach verzweigten und zusammen eine Fläche von gut fünftausend Quadratmetern überdachten. Ein ungeheurer Schirm, der ebenso jeden Sonnenstrahl wie jeden Regentropfen vom Boden abhielt.
Bei genügender Zeit – denn Geduld genug besaß er dazu – hätte der Frachtschiffer gern die Zweige der Banane gezählt, denn es plagte ihn die Neugier, wie viele es deren wohl sein möchten.
Da sollte seine Neugier, und zwar unter folgenden Umständen, befriedigt werden.
Als er die unteren Aeste der Banane zu zählen anfing und sich mit weit ausgespreizter Hand, die Finger nach oben, hier-und dorthin drehte, hörte er hinter sich die Worte rufen:
»Ten thousand.«
Diese beiden englischen, deutlich mit orientalischem Accent ausgesprochenen Wörter verstand er freilich wegen gänzlicher Unkenntniß des Englischen nicht, wohl aber Juhel, der nach einigen Worten, die er mit dem Eingebornen, der jene eben ausrief, gewechselt hatte, zu ihm sagte:
»Wie es scheint, trägt der Baum zehntausend Aeste und Zweige.
– Zehntausend?
– Das sagte wenigstens der Araber.«
Dieser Araber war kein andrer als der Polizist, den man den Fremden für die Reise durch das Imanat nachgesendet hatte und der die passende Gelegenheit aufgriff, mit ihnen in nähere Beziehung zu treten.
So wurden jetzt einige Fragen und Antworten in angelsächsischer Sprache zwischen Juhel und dem Araber gewechselt, der sich als Dolmetscher der britischen Gesandtschaft in Mascat vorstellte und den drei Europäern höflichst seine Dienste anbot.
Juhel dankte dem Eingebornen und machte seinem Onkel von dem Vorfalle Mittheilung, da er diesen wegen der Schritte, die sie nach dem Eintreffen in Sohar
Weitere Kostenlose Bücher