Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
jagte kleine Wellen über die eiskalte Wasserfläche, die jetzt den Thronsaal füllte. »Danke, dass du mich von Gregorns Erben befreit hast. Du hast mich vor einem Leben in Wahnsinn und Knechtschaft bewahrt, und ich stehe in deiner Schuld. Um dir meine Anerkennung zu beweisen, werde ich mein Wasser zurückhalten, bis du und deine Gefährten entkommen sind.«
Miranda starrte die Wassersäule entgeistert an. »Dein Wasser zurückhalten?«, flüsterte sie. Sie musterte den flachen Bach, der um ihre Füße floss. »Geist«, flüsterte sie. »Wer bist du?«
Die Burg zitterte wieder, als das Wasser leise lachte. »Das habe ich fast vergessen«, rumpelte es. »Schon meinem Empfinden nach war ich lange gefangen, wie lange muss es dann für euch Menschen sein, wo eure Lebensspanne kaum länger währt als die von Eintagsfliegen? Nun, als weiteren Teil meiner Dankbarkeit werde ich dir meinen Namen verraten.« Die Wassersäule bog sich und wurde heller, bis ihr Licht jeden Schatten aus dem Raum verbannt hatte. »Ich bin Mellinor, der Geist des Binnenmeeres.«
Kapitel 26
D as Binnenmeer …« Mirandas Stimme bebte.
»All dieses Land war einst mein Becken«, rumpelte der Geist. »Von den Gebirgsausläufern bis hin zu dem, was jetzt Wüste ist, gehörte alles mir. Bis dieser Mann kam.« Das Licht des Wassers verdunkelte sich zu einem wütenden Blau. »Obwohl er mich tief in kaltem Stein und stechendem Salz eingeschlossen hat, erinnerte ich mich doch an Sonnenlicht, Mondschein und den Wind auf meinen Wellen, und so konnte mich der Wahnsinn nicht überwältigen.« Seine Stimme zitterte, und das Wasser plätscherte schneller. »Nun werde ich dank dir die Sonne und den Wind wieder spüren. Ich werde mir zurückholen, was mir gestohlen wurde, und nach so langer Zeit in Einsamkeit wird mein Wasser wieder an Küsten branden.«
»Ein Binnenmeer«, sagte Miranda wieder. Beim Anblick des strahlenden Geistes zitterte sie am ganzen Körper, was jedoch nichts mit dem eisigen Wasser zu tun hatte, das ihre Füße umspielte. Jetzt verstand sie, wie der Geist selbst den großen Gregorn überwältigen konnte, und warum der berühmte Versklaver sein Leben eingesetzt hatte, um den Geist gefangen zu halten. Die Wassersäule, die über dem zerstörten Podium schwebte, war kein gewöhnlicher Geist, den man in einem Ring fangen oder zu einem Ball formen konnte. Dies war das leuchtende Herz eines Großen Geistes, eines Meisters der Geisterwelt. Miranda schluckte schwer. Ein Großer Geist, der sein Land zurückhaben wollte.
»Warte!« Miranda stolperte vorwärts. »Großer Geist Mellinor, warte. Mellinor, ich meine, das Königreich Mellinor, das jetzt in deinem Becken liegt, ist die Heimat Tausender Menschen. Millionen von Geistern haben sich hier niedergelassen, seit du vor vierhundert Jahren gefangen wurdest. Wenn du dein Land zurückforderst, werden all diese Menschen und Geister ertrinken.«
»Und was kümmert mich das?«, rumpelte Mellinor. »Hätte es diesen Versklaver nicht gegeben, hätten diese Geister nie hier Fuß gefasst. Sie sollten für die Zeit dankbar sein, die sie hatten.«
»Ich weiß, dass Gregorn dir Unrecht angetan hat«, rief Miranda. »Könnte ich deine Gefangenschaft ungeschehen machen, würde ich es tun, glaube mir! Aber diese Leute, diese Geister sind unschuldig! Bitte, du kannst sie nicht einfach ertränken!«
»Sag mir nicht, was ich tun kann und was nicht, Magierin!« Die tiefe Stimme des Geistes war rauh vor Wut, und die Wassersäule formte sich zu einer brechenden Welle. »Ich nehme von deiner Art keine Befehle mehr entgegen«, brüllte das Wasser, und Miranda wappnete sich für den Schlag.
»Entschuldigung, einen Moment bitte.« Eli trat mit den Händen in den Hosentaschen vor Miranda. Sein Tonfall war vollkommen ruhig, aber irgendetwas in seiner Stimme ließ die Welle mitten im Sturz innehalten. »So redest du mit der Spiritistin, die ihr Leben riskiert hat, um dich zu befreien?«
Das Wasser zog sich zurück. »Und wer bist du, dass du sie verteidigst?«
»Nur ein gewöhnlicher Dieb, dem die Vorstellung eines nassen Grabes nicht gefällt.« Eli lächelte. »Aber dieses Mädchen hier«, er schlug Miranda auf die Schulter, »sie hat sich mit ihren Feinden zusammengetan, ihre eigentlichen Befehle missachtet und ihren Hals riskiert, nur um Gregorns Nachkommen davon abzuhalten, dich zu versklaven. Und«, er zog mahnend eine Augenbraue hoch, »findest du nicht, dass du sie zumindest ausreden lassen solltest?«
Die
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