Meister der Stimmen: Roman (German Edition)
Welle sackte ein wenig in sich zusammen, als wäre ihr die Situation peinlich. »Nun gut«, gurgelte sie. »Sie darf sprechen.«
Eli nickte und winkte Miranda nach vorne. Miranda allerdings war so schockiert, dass sie ihn nur mit großen Augen anstarrte.
»So kannst du nicht mit einem Großen Geist reden«, zischte sie, als Eli sie vorwärtsschob.
»Das habe ich gerade getan«, flüsterte Eli zurück. »Und jetzt erledigst du besser deinen Teil, sonst steht uns das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes bis zum Hals.«
Sie richtete sich auf und blinzelte in das gleißende Licht. Der Geist ragte über ihr auf, und sie wünschte sich mehr als alles andere, sie hätte ihre Ringe nicht zurückgelassen. Selbst wenn die Macht ihrer Geister im Angesicht dieses Meeres so gut wie nichts war, hätten sie vielleicht doch eine Ahnung gehabt, wie man mit einem Großen Geist sprechen musste.
»Großer Geist«, setzte sie unsicher an. »Ich weiß, dass wir nicht das Recht haben, dich davon abzuhalten, dein Land zurückzufordern. Aber wenn du nur einen oder zwei Tage warten würdest, könnten wir sicherlich die Leute und einige Geister retten. Wenn du erst dann dein Becken wieder in Besitz nimmst, hätten wir zumindest nicht so viele Leben verloren.«
Ihre Stimme klang hoffnungsvoll, und sie lächelte zu dem leuchtenden Wasser auf. Es antwortete nicht. Mirandas Lächeln verblasste, und sie spielte nervös an ihrem Ärmel herum. »Natürlich wird es schwierig werden, die Leute zu überzeugen …«
»Bist du jetzt fertig?«, rumpelte die riesige Welle.
Miranda zuckte zusammen. »Mehr oder weniger.«
»Dann habe ich dich ausreden lassen. Dein Vorschlag ist inakzeptabel. Ich werde meine Freiheit nicht einschränken, um denjenigen einen Gefallen zu tun, die von meiner Gefangenschaft profitiert haben.«
»Jetzt warte mal.« Eli trat neben Miranda. »Wenn du ein Großer Geist bist, ist es dann nicht Teil deiner Verantwortung, über die kleineren Geister zu wachen?«
Die Welle drehte sich und richtete ihre Kuppe aus wirbelnder Gischt direkt auf Elis Kopf aus. »Was weißt du davon, Mensch?«
»Ich habe recht, nicht wahr?« Eli starrte mit verschränkten Armen zu dem schäumenden Wasser auf. »Ich weiß, dass deine Gefangenschaft schrecklich gewesen sein muss, aber ob nun versklavt oder frei, du bist immer noch ein Großer Geist. Diese Tiere und Bäume und alle anderen, die nun auf dem Land leben, das einst dir gehörte – sie sind dein, so wie früher die Fische, die in deinen Wassern lebten. Selbst wenn die Dinge sich geändert haben, kannst du dich nicht einfach von ihnen abwenden.«
Ohne Vorwarnung bildete das flache Wasser zu Elis Füßen einen Geysir und riss den Dieb in die Höhe, bis sein Gesicht gleichauf mit dem Wellenkamm war.
»Was weiß ein Mensch von den Schmerzen einer Versklavung?«, tobte der Geist. »Wer bist du, mir hier Vorträge zu halten, obwohl es deine Art war, die diese Situation verursacht hat? Ihr Menschen widert mich an. Ihr kamt aus dem Nichts – blind, kurzlebig, halb taub –, und doch bekamt ihr die Herrschaft über die Geisterwelt? Versteh das endlich, Junge«, der Geysir schoss noch höher, bis Eli direkt unter der Decke schwebte, »ich nehme von eurer Art keine Befehle mehr entgegen.«
Mit einer abrupten Bewegung schleuderte der Große Geist Eli quer durch den zerstörten Saal. Für einen schrecklichen Moment flog der Dieb geräuschlos durch die Dunkelheit. Dann landete er mit einem widerlichen Schlag an der Wand und fiel mit einem dumpfen Knall zu Boden. Miranda hielt den Atem an und wartete darauf, dass er sich bewegte oder wenigstens atmete. Aber nichts rührte sich. Die Wellen um ihn herum beruhigten sich, und Miranda fühlte, wie ihr Magen sich verkrampfte. Ohne nachzudenken oder auch nur zu wissen, was sie tat, rannte sie stolpernd über den nassen Boden auf ihn zu. Doch bereits nach wenigen Schritten erhob sich vor ihr eine Wand aus Wasser und schnitt ihr den Weg ab.
Sie wirbelte mit blitzenden Augen zu dem Geist herum. »Dazu hattest du kein Recht!«, schrie sie. »Dieb oder nicht, er hat uns geholfen. Er hat dir geholfen.« Sie öffnete ihren Geist, stärker und weiter als jemals zuvor, und richtete ihn wie einen Speer auf das glühende Herz des Wassers.
»Dann komm, kleines Mädchen«, rumpelte die Welle und stieg noch höher. »Wenn deine Art so auf Freundlichkeit reagiert, dann bringe ich dich besser jetzt um, als zuzulassen, dass du später mein Wasser
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