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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Phiolen und fügte Chemikalien hinzu, während der Abt das Feuer unter den Dreifüßen in Gang setzte. Als sich die Chemikalien bei der achtzehnten Blätterprobe blaßorange färbten, ging Li Kao mit großer Geschwindigkeit ans Werk, kochte das Laub zu Brei und fügte tropfenweise die Chemikalien hinzu. Dann vergrößerte er die Hitze und verminderte dadurch die Flüssigkeit. Das blasse Orange verwandelte sich in Grün. Als die Flüssigkeit völlig verdampft war, blieb ein winziges Häufchen schwarzer Kristalle in der Phiole zurück. Die Hälfte davon schüttete Li Kao in eine andere Phiole und gab eine farblose Flüssigkeit hinzu. Dann richtete er sich müde auf und streckte sich. »Noch eine Minute, dann weiß ich es mit Sicherheit«, erklärte er und ging zum Fenster hinüber. Ein paar der kleineren Kinder, die von der Seuche verschont geblieben waren, liefen verstört im Klostergarten herum. Li Kao wies auf einen kleinen Jungen. »Paßt auf«, sagte er.
    Wir beobachteten ihn, aber nichts geschah. Dann pflückte der Junge gedankenverloren ein Blatt von einem Baum, schob es zwischen die Lippen und begann, es zu kauen.
    »Das tun alle Kinder«, erklärte Meister Li ruhig. »Die Kinder aus dem Dorf, die alt genug waren, um beim Tragen der Körbe zu helfen, haben Maulbeerblätter gekaut. Aber je älter sie waren, desto bewußter unterließen sie es, so etwas Kindisches zu tun, und deshalb sind die Opfer nur die Acht- bis Dreizehnjährigen. Versteht ihr, wir haben es nicht mit einer Seuche zu tun, sondern mit einem Mittel, das bewußt eingesetzt wurde, um die Seidenraupen zu töten.«
    Er drehte sich um und deutete auf eine Phiole. Die Flüssigkeit hatte inzwischen die ekelhafteste Farbe, die ich je gesehen hatte: ein glitschiges, schleimiges und widerliches Grün wie Eiter. »Ku, ein Gift, für das kein Gegenmittel bekannt ist«, sagte Meister Li finster. »Man hat es auf die Blätter der Maulbeerbäume geschmiert, die einem gewissen Pfandleiher Fang gehören.« Eine mordlüsterne Menge wälzte sich den Hügel hinunter, aber das Tor zum Lagerhaus war verschlossen. »Ochse!« schnaubte der Abt. Ich trat gegen das Tor, das durch den halben Raum flog. Uns bot sich ein erschütternder Anblick: Ma die Made lag ausgestreckt auf dem Rücken. Seine Lippen waren mit Spuren von Ku beschmiert, und er war so tot wie Konfuzius. Pfandleiher Fang lebte noch, lag jedoch bereits in den letzten Zügen. Seine glasigen Augen richteten sich mühsam auf uns, und er bewegte die Lippen. »Wir wollten nicht... Es ging um die Seidenraupen«, flüsterte er. »Wenn sie eingingen... die Schuldscheine... alles uns gehören... Und jetzt ist meine Tochter...«
    Es war beinahe vorüber. Der Abt kniete nieder, gab ihm einen kleinen Jadebuddha in die Hände und begann, für die elende Seele des Pfandleihers zu beten. Fang schlug noch einmal die Augen auf und starrte blicklos auf den Jadebuddha hinunter. Mit heldenhafter Anstrengung stieß er verächtlich hervor: »Billig, sehr billig, höchstens zweihundert...« Dann war er tot.
    Li Kao blickte mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck auf die Leichen hinunter und sagte dann achselzuckend:
    »So sei es. Ich schlage vor, wir lassen sie hier verfaulen und gehen ins Kloster zurück. Wir müssen uns um wichtigere Dinge Gedanken machen.« Pfandleiher Fang und Ma die Made hatten die Kinder meines Dorfes mit Sicherheit getötet, doch als ich einen letzten Blick auf die beiden Leichen warf, empfand ich keinen Zorn.
    Der Abt ging voran. Wir zündeten Kerzen an, und unsere Schatten glitten drohend wie zusammengekrümmte Riesen über die grauen Steinmauern, während wir vorsichtig die lange, gewundene Treppe in das große Kellergewölbe hinunterstiegen, wo in langen Holzregalen die Schriftrollen lagen. Unser Kloster ist sehr alt, und die Äbte hatten im Laufe der Jahrhunderte eine umfangreiche Bibliothek zusammengetragen. Die medizinischen Texte gingen in die Hunderte, und ich half den Novizen, Rolle um Rolle zu den langen Tischen zu bringen, wo der Abt und seine Bonzen sie auf jeden Hinweis auf das Gift Ku überprüften. Es gab zahlreiche Hinweise, da dieses Gift seit beinahe zweitausend Jahren häufig für Morde verwendet wurde. Die Informationen lauteten beinahe immer: »Die Lebensfunktionen des Opfers kamen soweit zum Erliegen, daß es praktisch keine Energien verbrauchte. Dieser Zustand konnte monatelang andauern, doch nichts konnte dem Opfer das Bewußtsein wiedergeben. Der Tod war unvermeidlich, denn es gab

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