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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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daß wir wissen, wo wir den klügsten Mann der Welt finden?« Ich starrte ihn an, ohne etwas zu begreifen.
    »Geizhals Shen«, erklärte er. »Ochse, es war kein Zufall, daß Geizhals Shen uns erzählte, er habe erfahren, der klügste Mann der Welt lebe in einer Höhle am Ende des Bärenpfades hoch in den Omeibergen, als er versuchte, sein Töchterchen ins Leben zurückzuholen.«
    »Gehen wir in die Omeiberge?« fragte ich.
    »In der Tat«, erwiderte Meister Li, »und als erstes werden wir diesen Palast plündern. Der Alte vom Berg verkauft seine Geheimnisse nicht billig.«
    Es regnete immer noch, aber ein Zipfel des Himmels wurde blau, und als einen letzten Tribut an Hahnrei Ho schaufelte ich die größten Stücke der Ahne in einen Schubkarren, schob sie zu den Zwingern und fütterte damit die Hunde. In der Ferne leuchtete ein Regenbogen am Himmel.
     

26.
Drei Arten der Weisheit
     
    Geehrte Leser. Solltet Ihr beschließen, an das Ende des Bärenpfades hoch oben in den Omeibergen zu reisen, werdet Ihr schließlich eine kleine flache Lichtung vor einer Steilwand erreichen. Vor der schweren gähnenden Öffnung einer Höhle steht eine Steinsäule, an der ein Kupfergong und ein Eisenhammer hängen. Folgende Nachricht ist in den Stein gemeißelt:
     
    hier lebt der alte mann vom berg
    gonge und bringe dein anliegen vor.
    seine geheimnisse werden nicht billig verkauft.
    es ist gefährlich, ihm die zeit zu stehlen.
     
    Ich hoffe, Ihr werdet den letzten Satz nicht vergessen. Mit dem weisesten Mann der Welt darf niemand spaßen, selbst so bedeutende Leute wie meine Leser nicht. Und ich habe nicht die Absicht, noch einmal zum Ende des Bärenpfades zu wandern. Ich bin nur Nummer Zehn der Ochse, der auch beim ersten Mal dort nichts zu suchen hatte. Aber man erzählt, daß die großen Führer der Menschheit diese Reise seit dreitausend Jahren machen und sie auch weitere dreitausend Jahre machen werden, und man sagt auch, man muß nur einen Blick auf den Zustand der Welt werfen, um es zu glauben. Die schnaufenden Maultiere, die unseren Karren voll Gold und Edelsteine heraufzogen, brachen vor Erschöpfung beinahe zusammen, als sie um die letzte Wegbiegung trotteten und wir die Lichtung vor der Höhle erreichten. Meister Li las die Botschaft auf der Säule, hob einen Weinschlauch an die Lippen und trank.
    »Welche bewundernswerte Prägnanz«, bemerkte er und wies dabei mit dem Kinn auf die Inschrift. »Kein überflüssiges Wort.« Dann griff er nach dem Eisenhammer und schlug auf den Gong, und als das Echo verhallte, holte er tief Luft und rief: »Alter vom Berg, zeige dich! Ich bin gekommen, um das Geheimnis der Unsterblichkeit zu kaufen!«
    Das Echo rief Unsterblichkeit, Unsterblichkeit, Unsterblichkeit, dann herrschte Stille. Viele Minuten lang lauschten wir auf die leisen Geräusche kleiner Tiere, den seufzenden Wind und den fernen Schrei des Adlers. Schließlich hörten wir das leise Schlurfen von Sandalen, und aus der schwarzen Öffnung der Höhle drang eine Stimme, die klang, als rollten Kieselsteine über Eisen. »Weshalb wollen alle die Unsterblichkeit? Ich habe so viele andere Geheimnisse zu verkaufen. Schöne Geheimnisse, grausame Geheimnisse, glückliche Geheimnisse, entsetzliche Geheimnisse, liebenswürdige Geheimnisse, verrückte Geheimnisse, lachhafte Geheimnisse, abscheuliche Geheimnisse...«
    Ein Mann kam aus der Höhle geschlurft und blinzelte im Sonnenlicht. Er sah aus wie der älteste und häßlichste Affe der Welt. Schmutzige Strohhalme hingen in seinen wirren verfilzten Haaren, Bart und Gewand waren von Essensresten ganz fleckig. Sein faltiges gefurchtes Gesicht war noch älter als das von Li Kao, aber seine tiefschwarzen Augen sahen mich so durchdringend an, daß mir der Atem stockte und ich instinktiv zurückwich. Er überging mich als unwichtig und betrachtete Li Kao interessiert.
    »Ein Weiser, wie ich sehe, mit einem kleinen Charakterfehler«, stellte er leise kichernd fest. »Ein Weiser kann sich doch sicher ein interessanteres Geheimnis ausdenken, das er dem Alten vom Berg abkaufen möchte. Ich vermag Euch zu lehren, wie man Freunde in Blumen und Feinde in Kakerlaken verwandelt. Ich vermag Euch zu lehren, wie Ihr Euch selbst in alles verwandeln könnt, was ihr wollt, oder wie man die Geister der Toten stiehlt und sie zu Sklaven macht, oder wie man über Wesen herrscht, die im dunklen Innern der Erde hausen. Ich vermag Euch zu lehren, wie man Krampfadern entfernt oder Pickel los wird. Und doch kommt

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