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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Arme des Sternenhirten flog. Und sie lebten...«
    Hahnrei Ho seufzte und zuckte mit den Schultern. »Fortan glücklich und zufrieden?« sagte er, »seht Ihr, soweit war ich gekommen, als meine liebe Frau die Täfelchen vernichten ließ. Wenn sie fortan glücklich lebten, kann ich mir nicht denken, weshalb die Hälfte des Märchens noch zu entziffern war. Obwohl es an einem bestimmten Punkt mit Sicherheit auf Ginseng zurückgekommen wäre. Was meint Ihr, Li Kao?«
    »Ho, sie lebten fortan nicht glücklich miteinander. Ich habe den starken Verdacht, daß auf Euren Tontafeln kein altes Märchen überliefert wurde«, sagte Meister Li finster, »wenn die Geschichte zu Staub zerfällt, überleben die Ereignisse der Geschichte manchmal in Form von Mythen und Märchen, und ich bin so kühn zu glauben, daß wenn Ochse und ich ein oder zwei fehlende Stücke in die Hände bekommen, die Lösung zu einem sehr verwirrenden Rätsel gefunden ist.«
    Li Kao kaute nachdenklich an seinem Bart und sagte dann: »Ho, Ochse und ich sind in so viele Ketten gewickelt, daß wir uns nicht rühren können. Ihr seid mit einer Kette an die Wand gefesselt. Dieser Kerker ist in den Felsen gehauen. In der Folterkammer wimmelt es von Soldaten. Wir befinden uns elf Stockwerke unter der Erde. In jedem Stockwerk sind Wachen postiert. Durch den Palast schwärmt das Heer der Ahne. Das Heer des Herzogs liegt vor den Mauern, und Ochse und ich müssen auf der Stelle von hier fliehen. Falls Ihr Euch nicht darauf freut, gestreckt und gevierteilt zu werden, schlage ich vor, daß Ihr uns begleitet.«
    »Ich finde, das ist eine großartige Idee«, sagte Hahnrei Ho.
     

25.
Der Triumph von Hahnrei Ho
     
    Verehrte Leser, ihr wißt sehr viel mehr über die Welt als Nummer Zehn der Ochse, und werdet sicher schon sechs oder sieben Fluchtmöglichkeiten ausgedacht haben. Und wenn ihr vorübergehend die Demütigung auf euch nehmen wollt, euch als Soldaten des Herzogs von Ch'in zu betrachten, wollen wir sehen, ob eine eurer Methoden der von Li Kao ähnelt.
    Also gut, ihr seid Soldaten, die man gezwungen hat, in einer ekelerregenden Folterkammer tief unter der Erde Wache zu stehen. Schleimiggrünes Wasser tropft von den schwärzlichen Felswänden, widerlich weiße Kakerlaken krabbeln durch Blutlachen, und süßliche Übelkeit erregende Gerüche vermischen sich mit dem Gestank achtlos beiseite geworfener Eingeweide und Augäpfel. Ein grauenvoller spitzer Schrei gellt durch den Raum! Der Schlüsselhase fällt in eine tiefe Ohnmacht, und ihr folgt dem Henker in einen angrenzenden Kerker, wo sich euren Augen ein grauenhaftes Schauspiel bietet. Ein älterer Herr mit dem Aussehen eines Gelehrten torkelt wie ein Verrückter an einer Fußkette hin und her und umklammert dabei krampfhaft seine Kehle. Gesicht und Hände sind mit gräßlichen schwarzen Flecken bedeckt, und die geschwollene schwarze Zunge hängt ihm höchst unappetitlich aus dem Mund. Schwarzer Speichel tropft ihm von den blutigen fleckigen Lippen. Er verdreht die Augen, bis man nur noch das Weiße sieht, schlägt einen akrobatischen Purzelbaum und landet auf dem Rücken. Seine Hände schlagen wie im Krampf auf den Boden. Sein Körper zuckt heftig, bäumt sich auf, verdreht sich, Schaum tritt ihm vor den Mund, und schließlich bleibt er steif wie ein Brett liegen.
    Ein noch älterer Herr ist in so viele Ketten gewickelt, daß er sich nicht rühren kann, und er schreit mit vor Entsetzen geweiteten Augen: »Die Kakerlaken! Bei Buddha, seht euch die Kakerlaken an!« Der schwarze Wein Wu-fan ist auf schwarzem Steinboden unsichtbar, und ihr könnt unmöglich sehen, daß die krampfhaft schlagenden Hände des verstorbenen Gelehrten eine Weinspur gezogen haben. Die Spur führt zu großen unsichtbaren Schriftzeichen auf der schwarzen Felswand. Ihr seht jedoch, daß zehntausend widerliche weiße Kakerlaken hastig über den Boden rennen, die Wand hinauflaufen und sich in kunstvollen Mustern auf dicken, süßen unsichtbaren Linien winden, die folgende Warnung des Gesundheitsamtes ergeben:
     
    lauft um euer leben -
    es ist die pest der
    zehntausend
    ansteckenden fäulnisse!
     
    Ich zweifle ernsthaft, daß ihr dort stehenbleiben und kluge Bemerkungen über die Schreibkünste der Insekten machen werdet. Alles hing jetzt von Hahnrei Ho ab, und sein Gespür für den richtigen Augenblick hätte nicht besser sein können. Der Henker drehte sich auf dem Absatz um und floh. Ho spannte mit einem Ruck seine Kette, der Henker strauchelte

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