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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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gehört, und seine Improvisation war so gut, daß ich den starken Verdacht habe, er war weit mehr als nur ein einfacher Soldat.
     
    Jadepracht
    Sechs, acht.
    Feuer, das heiß brennt,
    Nacht, die man nicht Nacht nennt,
    Feuer, das kalt brennt,
    Silber
    Gold
    Doch wer es kennt, Sieht ein anderes Element.
     
    Meister Li warf die Eßstäbchen in die Schale und zwinkerte mir zu. »Was ist die allgemeine Metapher für den Mond, seit Yang Wan-Ii damit angefangen hat?«
    »Eine Jadescheibe«, erwiderte ich, »die zehntausend Meilen über den blauschwarzen Himmel zieht.«
    »Was kannst du in Zusammenhang mit dem Mond aus sechs, acht machen?«
    »Der sechste Tag des achten Mondes?« riet ich.
    »Umgekehrt.«
    »Der achte Tag des sechsten Mondes... oh, das ist ja heute«, rief ich.
    »In der Tat. Wir haben mit dem Mond angefangen. Was ist also das Feuer, das heiß brennt?«
    »Die Sonne?« fragte ich.
    »Und die Nacht, die man nicht Nacht nennt?«
    Ich kratzte mich am Kopf. »Eine Sonnenfinsternis?«
    »Könnte sein, aber ich kann mich an keine Sonnenfinsternis am achten Tag des sechsten Mondes erinnern. Versuche es mit etwas Einfacherem.«
    »Der Sonnenuntergang«, sagte ich. »Die Sonne ist schon verschwunden, aber das Licht ist noch da.«
    »Ausgezeichnet«, lobte Meister Li. »Bei ihrem Spiel fragen die Kinder: Wo ist die Prinzessin der Vögel? Und Wan antwortet ihnen, wenn sie am achten Tag des sechsten Mondes von seinem Wachturm aus dorthin blicken, wo die Sonne am Horizont verschwindet, würden sie den Ort sehen, wohin der lahme Hausierer Jadeperle gebracht hatte. Genauer gesagt, sie würden etwas sehen, das kaltem Feuer gleicht, das zuerst silbern und dann golden brennt. In wenigen Minuten werden wir genau danach Ausschau halten«, sagte Meister Li.
    Ich wurde rot und erwiderte beinahe zornig:
    »Meister Li, wir versuchen, die Große Wurzel der Macht für die Kinder von Ku-fu zu finden! Wir versuchen nicht, eine kleine Göttin für den Himmelskaiser zu finden!«
    »Mein lieber Junge, glaubst du, der Kaiser weiß das nicht? Gedulde dich noch ein paar Minuten«, erwiderte Meister Li begütigend. Die Sonne versank langsam hinter fernen Berggipfeln, und die Wolken begannen, in den Farben des Sonnenuntergangs zu glühen. Ich entdeckte nichts, das kaltem Feuer glich. Das Licht begann zu verblassen, und ich sah schwach die ersten Sterne am Himmel, aber sonst sah ich nichts. Es war beinahe dunkel, und um die Wahrheit zu sagen, ich glaubte nicht an Meister Lis Deutung des Kinderreims.
    Plötzlich sank die schon verschwundene Sonne in eine unsichtbare Lücke in der Bergkette im Westen. Ein leuchtender Lichtstrahl schoß wie ein Pfeil durch das Tal bis zu den östlichen Bergen. Zu keiner anderen Zeit und an keinem anderen Tag des Jahres wäre der Einfallwinkel richtig gewesen, aber jetzt begann ein kleiner runder Fleck, der irgendwo zwischen den Gipfeln verborgen war, wie kaltes Feuer zu glühen. Er schimmerte wie Silber, verwandelte sich dann in mattes Gold und verschwand.
    Meister Li bedeutete mir niederzuknien und die Hände zu falten. »Gut gemacht, Wan«, rief er. »Du hast die Mission erfüllt, zu der dich der Himmelskaiser ausersehen hatte. Und gewiß wird deinem Geist erlaubt sein, zu den Sternen aufzusteigen. Dort wirst du viele Kinder finden, die dich auffordern, mit ihnen zu spielen, und die Göttin Nu Kua wird sich freuen, einen solchen Wächter zu bekommen, der ihr dabei hilft, die Mauern des Himmels zu bewachen.« Wir verneigten uns dreimal, machten neun Kotaus und standen auf. Li Kao lachte mich an.
    »Ochse, was glaubst du, was sollen wir dort finden?« Ich starrte ihn an. »Ist das nicht der Ort, an den der Hausierer die Prinzessin der Vögel hingebracht haben soll?« fragte ich. »Er hat sie ganz sicher dort hingebracht. Vielleicht wollte er so die Stadt finden, in der ihre Patin lebte. Aber für uns wäre es ziemlich nutzlos, Jadeperle zu suchen«, erklärte Meister Li geduldig. »Falls der Herzog von Ch'in auch nur ein bißchen Verstand hatte, brachte er sie auch zum Alten vom Berg. Töten konnte man sie nicht, aber man konnte sie verwandeln. Die Prinzessin der Vögel kann jetzt vielleicht ein Regentropfen in einem Gewittersturm sein, ein Blütenblatt auf einer Wiese voller Blumen oder ein Sandkorn unter einer Million anderer Sandkörner am Strand. Nein, du, ich und der Jadekaiser, wir tun uns alle gegenseitig einen Gefallen, denn es gibt etwas auf dieser Welt, das wir benutzen können, um den Herzog zu

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