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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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geschützt, und die Kälte war erträglich, bis ich in eine seltsam eisige Strömung geriet, die mich beinahe gezwungen hätte, an die Oberfläche zurückzukehren. Ich sah plötzlich, wie meine Fingerspitzen blau wurden. Glücklicherweise handelte es sich um eine schnelle Strömung, durch die ich bald hindurchgetaucht war. Ich sank schneller, als mir sicher erschien, deshalb warf ich ein paar Steine ab, bis ich langsamer nach unten trieb. Ein Seil aus Ranken führte von meinem Gürtel nach oben. Li Kao zählte die Knoten, während sie durch seine Finger glitten. Als ich schließlich den Boden berührte, befand ich mich dreißig Fuß tief.
    Ich hatte erwartet, es würde in dieser Tiefe völlig dunkel sein. Doch phosphoreszierende Felsen verbreiteten ein gespenstisch grünes Licht, in dem ich recht gut sehen konnte. Ich ging durch eine der Straßen der versunkenen Stadt und bewegte dabei die Arme wie beim Schwimmen, um den Druck des Wassers auszubalancieren. Die Luft aus der Schweinsblase schmeckte scheußlich, aber der Atemschlauch funktionierte. An meinem Gürtel hingen noch zwei Schweinsblasen. Ich erreichte ein Haus und spähte vorsichtig durch die Tür ins Innere. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, daß ich etwas sah, das es einfach nicht geben konnte. Ich griff zur zweiten Luftblase und eilte, so schnell ich konnte, durch die Stadt. Überall bot sich mir der gleiche unfaßbare Anblick. Als auch diese Blase leer war, griff ich zur dritten und kehrte um, bis das Seil an meinem Gürtel beinahe senkrecht in die Höhe führte. Dann warf ich weitere Steine ab, bis ich nach oben trieb und schließlich wenige Fuß vom Floß entfernt wieder auftauchte. »Meister Li!« keuchte ich, »Meister Li...«
    Er verbot mir, etwas zu sagen, zog mich auf das Floß und rieb mich trocken. Dann mußte ich einen Schluck Wein trinken, ehe ich berichten durfte, was ich erlebt hatte. Ich begann von der merkwürdig eisigen Strömung zu erzählen und dem phosphoreszierenden Licht. Ich sagte: »Meister Li, im ersten Haus habe ich die Skelette einer Frau und eines kleinen Kindes gesehen. Es muß Jahre gedauert haben, ehe dieser See hinter dem Bergsturz entstanden war, doch die Frau ist so schnell ertrunken, daß ihr nicht einmal Zeit blieb, ihr Kind aus der Wiege zu nehmen!«
    Überall war es das gleiche gewesen. Ich hatte Spieler gesehen, die mit dem Würfel in der Hand ertrunken waren, und Schmiede, die über dem Amboß hingen. Frauen, deren Knochen in den Töpfen lagen, mit denen sie gerade gekocht hatten.
    »Meister Li, diese Stadt ist in einem einzigen Augenblick zerstört worden!« berichtete ich aufgeregt, »wenn der Herzog von Ch'in für ein solches Massaker verantwortlich ist, muß er das kälteste Herz der Welt besitzen!«
    Li Kao packte mich am Arm. »Sag das noch einmal!« forderte er mich auf.
    »Äh... wenn der Herzog von Ch'in dafür verantwortlich ist, muß er das kälteste Herz der Welt besitzen...«, murmelte ich. Li Kao zog ein merkwürdiges Gesicht. Ich fand, daß er mich an eine Katze erinnerte, die sich an einen großen selbstzufriedenen Vogel heranschlich. Mit einer Handbewegung wies er auf das Gewirr von Türmen und Türmchen.
    »Ochse, auch dies hier ist ein Labyrinth, und wir haben den Drachenanhänger nicht mehr«, erklärte er, »aber brauchen wir ihn? Ich habe das Gefühl, als der Alte vom Berg uns von der Dummheit einiger seiner Schüler so anschaulich erzählte, hat er möglicherweise sehr geschickt etwas über den Herzog von Ch'in gesagt.« Eilig fettete sich Li Kao mit dem Schweinefett ein und griff nach seiner Taucherausrüstung.
    »Schließlich kann der weiseste Mann der Welt mit einem Schüler kaum zufrieden sein, der als Versteck für sein Herz eine riesige Stadt aussuchte, sie unter einigen hundert Fuß Wasser begrub und dann eine Spur zurückließ, die geradewegs auf das Charakteristische des entfernten Organs hinweist. Ochse, führe mich zu dieser merkwürdigen eisigen Strömung«, sagte Meister Li zufrieden.
     

28.
Das kälteste Herz der Welt
     
    Wir sanken langsam in das gespenstisch grünliche Licht hinunter, und es dauerte nicht lange, bis ich die Strömung gefunden hatte. Wir erfroren darin beinahe, ehe wir entdeckten, daß wir sie aus sicherer Entfernung verfolgen konnten, wenn wir auf eine winzige Spur von Bläschen achteten. Wir folgten ihr stundenlang durch ein unglaubliches Gewirr von Straßen. Ich schwamm immer wieder an die Oberfläche zurück, paddelte das Floß ein Stück

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