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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Figur, die in der zweitausendjährigen Geschichte des Schwerttanzes nur fünfmal erfolgreich absolviert worden war -, und ihr blieb noch Zeit für zwei Hiebe, die mir die Ohren abgetrennt hätten und einen dritten, der mich entmannen sollte. Ihre Augen sprühten Feuer, und ihre Haare waren gesträubt wie das Fell einer schönen großen Katze. Die Geisterschwerter wirbelten mit unvorstellbarer Wucht um ihren springenden Körper, sie schlug zu, um meine Augen und die Nase zu treffen. Ihre Zehen berührten kaum die Erde, als sie sich auch schon wieder in die Luft geschwungen hatte.
    Hin und wieder tanzt sie jetzt in meinen Träumen für mich. Ich glaube, nicht vielen Männern wird eine solche Ehre zuteil. Schneller! dröhnten die Trommeln. Schneller! Schneller! Ich tanzte schneller, aber plötzlich, als ich Zehnten Sturzflug des Blauen Reihers versuchte, verhakten sich meine Schwerter. Ich trat auf einen Ast, der über dem Pfad lag, stolperte und fiel. Der schöne Geist sprang über mich hinweg. Dabei blitzten ihre Schwerter auf, um mir von der Nase bis zu den Zehen die Haut abzuziehen, und sie landete auf der anderen Seite. Die Trommeln verstummten augenblicklich. Leuchtender Stern schüttelte benommen den Kopf. Dann wurden ihre Augen groß vor Staunen und Hoffnung, als sie begriff, daß der Ast, der mich zu Fall gebracht hatte, direkt vor die Tür gelegt worden war, die immer noch einen Spalt offenstand. Sie war durch den Spalt auf die andere Seite gesprungen!
    Li Kao und Hahnrei Ho kamen herbeigerannt, als das Tanzmädchen sich langsam ihrem Hauptmann zuwandte. Er war ein großer, hübscher Geist, und im Leben muß er sehr heroisch gewesen sein, denn es gelang ihm, sich von Leuchtender Stern abzuwenden, die geballte Faust die ganzen sieben Sekunden zum Soldatengruß zu heben, ehe er sein Tanzmädchen in die Arme nahm. Dann verblaßten die Geister, die Tür verschwand, der Deckel lag wieder auf dem Brunnen, das Unkraut wuchs auf dem Pfad, und wir standen vor einer zugemauerten Stelle in der Mauer.
    Blut tropfte Meister Li und Hahnrei Ho von den Händen, und ich sah aus wie ein Stück Fleisch, das eine Katze aus dem Schlachthaus gestohlen hat. Wir waren eine ziemlich mitgenommene Gruppe für so feierliche Zeremonien, doch wir bezweifelten, daß sich jemand daran stoßen würde. Im Arbeitsraum von Hahnrei Ho schnitten wir aus Papier die Figuren des glücklichen Paares aus. Wir verbrannten Papiergeld als Aussteuer und Speisen für die Gäste und besprengten den Boden mit Wein. Hahnrei Ho sprach für die Braut, ich sprach für den Bräutigam, Li Kao intonierte die Heiratsgelübde, und als die Hähne krähten, dankten wir den Jungverheirateten für das Festmahl und ließen sie endlich ins Brautbett sinken. So heiratete Leuchtender Stern ihren Hauptmann, und das gütige Herz von Hahnrei Ho fand schließlich Frieden.
    »Alles in allem«, sagte Meister Li, der mich stützte, während ich den Pfad entlang humpelte, »war es doch ein recht zufriedenstellender Abend.«
     

9.
Kurzes Zwischenspiel für einen Mord
     
    Sobald meine Wunden verheilt waren, machte Meister Li den Vorschlag zu einem weiteren Spaziergang durch die Gärten mit Jungfer Ohnmacht, in Begleitung ihres Vaters und der seinen. Ho und ich stellten überrascht fest, daß Meister Li den Weg zum alten Brunnen und der zugemauerten Tür einschlug. Jungfer Ohnmacht war in Hochform.
    »Rosen! Meine Lieblingsblumen!« jubelte sie und wies auf ein paar Petunien. Meister Li antwortete mit glatter, honigsüßer Stimme: »Wirklich schöne Rosen«, schmeichelte er ihr, »aber wie Chang Chou so bezaubernd sagt, Frauen sind die einzigen Blumen, die sprechen können.« Jungfer Ohnmacht lächelte geziert.
    »Halt!« rief Meister Li. »Bleibt so stehen, bleibt mit Euren vollkommenen Füßchen an dieser Markierung auf dem Pfad! Das Licht ist an dieser Stelle vollkommen, und Eure Schönheit war nie atemberaubender.« Jungfer Ohnmacht stellte sich anmutig in Pose.
    »Absolute Vollkommenheit«, hauchte Meister Li glücklich. »Eine hübsche Dame in einer hübschen Umgebung. Man kann kaum glauben, daß ein so heiterer Ort der Schauplatz einer Tragödie war. Aber ich habe gehört, daß hier eine Tür verschlossen, ein Schlüssel gestohlen wurde und ein hübscher junger Mann und das Mädchen, das ihn liebte, das Leben verloren haben.«
    »Ein dummer Soldat und eine Dirne«, erklärte Jungfer Ohnmacht kalt. Ihr Vater zuckte zusammen, aber Li Kao stimmte ihr zumindest teilweise zu.

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