Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
in der Annahme hatte errichten lassen, daß sie sich eines Tages dazu herablassen würde, die Götter mit ihrer Gegenwart zu beehren. Bei dem Mausoleum handelte es sich um eine riesige, über hundert Fuß hohe Eisensäule, mit der Grabkammer in der Mitte. Über dem Eingang befand sich in riesigen Schriftzeichen die Botschaft, die sie der Nachwelt hinterlassen wollte. Wenn sich die Geschichte der Ahne einmal im Dunkel der Zeit verloren hat, wird ihre Grabinschrift die Gelehrten der Zukunft sicher in große Verwirrung stürzen.
der himmel schafft myriaden von dingen,
um den menschen zu nähren.
der mensch tut nie etwas gutes, um es dem
himmel zu danken.
töten! töten! töten! töten! töten! töten! töten!
Ein weiteres Beispiel ihrer Frömmigkeit war ihre Vorliebe für Lohns. Ich meine damit nicht die Statuen buddhistischer Heiligen, wie die 142289, die man in Lung-men sehen kann, ich meine echte Lohans. Ein echter Lohan ist ein frommer Mönch, der den Geist aufgegeben hat, während er im meditativen Mudra saß. Man sieht darin ein Zeichen des Himmels, und wenn man den Abgeschiedenen entdeckt, der mit gekreuzten Beinen, nach oben gewendeten Fußsohlen, die Hände mit nach oben gekehrten Handflächen locker im Schoß über seinen Nabel meditiert, wird der Körper sorgsam in Leinen gewickelt. Auf das Leinen werden immer neue Schichten Lack aufgetragen, und das Ergebnis ist ein echter Heiliger, dessen konservierter Körper Jahrhunderte überdauert. (Wurde der Lack richtig aufgetragen, und der Körper liegt in Wasser, zerfällt er bis in alle Ewigkeit nicht.) Solche lackierten Lohans sind äußerst selten, aber die Ahne besaß allein zwölf. Bösartige Zungen behaupteten, mehr als einer dieser Heiligen habe friedlich meditiert, während ihm jemand im Auftrag der Ahne ein Messer zwischen die Rippen stieß. Das mag so sein, vielleicht auch nicht, aber die Ahne war zweifellos stolz auf die Lohans und stellte sie bei allen großen, zeremoniellen Anlässen zur Schau.
In den Tagen, die auf das Ableben von Jungfer Ohnmacht folgten, strömten die Trauergäste von überall herbei, und die vornehmsten von ihnen errichteten Opferzelte entlang der Straße, die der Leichenzug zum Begräbnisplatz nehmen würde. Sie kamen mit eigenen Orchestern, sogar Schauspieltruppen und Akrobaten, und der Adel nutzte den Anlaß zu pompösen Geselligkeiten. Mehr und mehr Menschen versammelten sich, darunter zahllose Bonzen, die von der Ahne dafür bezahlt wurden, daß sie Tag und Nacht für ihre Seele beteten, und das Ganze ähnelte schließlich eher einem Fest. Als der große Tag dämmerte, nieselte es. Den ganzen Morgen und den frühen Nachmittag ballten sich dicke Wolken am Himmel, und ein schwefliger Geruch hing in der feuchten, heißen Luft. Hahnrei Ho hatte sich bereit erklärt, uns zu helfen, und während er von Graf zu Marquis und von Marquis zu Herzog ging, murmelte er düstere Warnungen und sprach von bösen Vorzeichen. Im Wald habe man zottige schwarze Untiere gesehen, erzählte Hahnrei Ho. Dienstboten hatten zwei ominöse Geister gesehen - eine Frau in Weiß und eine Frau in Grün - die vor Dämonen warnten, und als man die Lustpavillons durchsuchte, fand man tatsächlich einen geschnitzten Dämonen mit einem eisernen Ring um den Kopf und einer Kette um den Hals. Am Teich des Dritten Dufts war ein Bronzekandelaber durch die Luft geflogen. »Mit sieben Flammen«, zischelte Hahnrei Ho, und ich hoffe, niemand wird den liebenswerten alten Herrn voreilig verurteilen, wenn ich berichte, daß das Begräbnis seiner Tochter der große Tag seines Lebens war.
Ein Trommelwirbel verkündete das Herannahen der Prozession. Den Anfang bildeten die Vorreiter in Zweierreihen, gefolgt von Dienern, die Phönixbanner trugen, und Musikanten, die Trauermusik spielten. Hinter ihnen schritten lange Reihen von Priestern, die goldene Weihrauchfässer schwenkten, dann kam der Sarg mit den vierundsechzig Trägern, die einer Prinzessin zustanden. Als der leidtragende Verlobte hatte ich den Ehrenplatz; ich ging weinend und wehklagend neben dem Sarg her und raufte mir die Haare. Es folgten Soldaten aus dem Heer der Ahne, die einen riesigen Baldachin aus mit Phönixen bestickter gelber Seide trugen; darunter zogen Bonzen zwölf juwelengeschmückte Wagen. Auf jedem Wagen saß in meditativem Mudra ein lackierter Lohan.
Die Heiligen blickten wohlgefällig auf die sichtbaren Zeichen der Frömmigkeit und der Trauer der Ahne hinunter. Sie hatte die
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