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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Diagramme und die Neun Himmlischen Sphären eingraviert waren. Sie sperrten die bösen Dämonen in Krüge und Flaschen, verkorkten, versiegelten und stempelten sie mit Bannsprüchen. Inmitten all dieses Geschehens ereignete sich ein Wunder, das selbst den verstocktesten Atheisten der Welt bekehrt hätte. Ein besonders heiliger lackierter Lohan bewunderte das mit Diamanten geschmückte kaiserliche Szepter, das die Ahne ihm zu Füßen gelegt hatte und fürchtete offenbar, daß die Dämonen die anderen Grabgeschenke entweihen könnten. Also erhob er sich aus dem Lotussitz und machte sich auf eine Inspektionsrunde. Bonzen schrien und fielen reihenweise in Ohnmacht, und selbst die Ahne, die unaufhörlich gebrüllt hatte: »Kopf ab!«, wurde blaß und wich entsetzt zurück. Der Lack glänzte im dunstigen Licht wie mattes Gold, und der Heilige schien durch die Weihrauchwolken zu schweben, während er den anderen Lohans einen Besuch abstattete, jedes Geschenk genau betrachtete, um sich davon zu überzeugen, daß es in Sicherheit war. Das letzte Geschenk befand sich in einem Jadekästchen, das der Heilige in die Hand nahm und öffnete.
    »Ich hab's!« rief er glücklich.
    Unglücklicherweise hatte die dünne Lackschicht die Falten von fünfzig Jahren im Gesicht des Lohan getilgt, und die Ahne setzte sich plötzlich kerzengerade auf.
    »Du!« brüllte sie, »du mit deinen verdammten Gottesanbeterinnen hättest mir beinahe Kaiser Wen abspenstig gemacht! Soldaten, packt diesen betrügerischen Hund!«
    Meister Li umklammerte das Jadekästchen fester und gab Fersengeld. Ich hüpfte vom Grab meiner Verlobten und rannte hinter ihm her. Das Heer der Ahne verfolgte uns, und diese Ablenkung kam für Eierabschneider Wang wie ein Gottesgeschenk, denn er tauchte gerade aus dem Gebüsch auf, sammelte seine Männer, und sie stahlen alles, was ihnen in die Hände fiel. Die Verwirrung artete in ein Chaos aus. Der Sturm, der den ganzen Tag gedroht hatte, brach schlagartig über uns herein. Blitz und Donner gesellten sich zu den Trommeln der Zauberer und dem Geschrei der Bestohlenen; der prasselnde Regen gab uns einen noch besseren Schutz als die Weihrauchwolken. Wir entkamen beinahe mühelos und erreichten unser Versteck, eine kleine natürliche Höhle am Flußufer. Dort zogen wir uns aus, ließen die Kleider trocknen, und Li Kao hielt mir das geöffnete Kästchen entgegen.
    Darin lag die wunderbarste Ginsengwurzel, die man sich vorstellen kann. Kein Wunder, daß die Ahne sie zu ihren wertvollsten Schätzen zählte, wie Meister Li sich ausgerechnet hatte. Der Duft, der von ihr aufstieg, war so stark, daß sich in meinem Kopf alles zu drehen begann.
    »Ochse, sie ist wirklich außergewöhnlich, aber die Wurzel der Macht ähnelt in keiner Weise der Großen Wurzel, die Hahnrei Ho beschrieben hat«, sagte Meister Li. »Natürlich zweifelt Ho daran, daß es sich bei seiner Wurzel überhaupt um Ginseng handelt, und wir können nur beten, daß diese hier die gewünschte Wirkung hat.« Ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß die Kinder so gut wie geheilt waren, und ich kann meine Freude nicht beschreiben. Bald hörte es auf zu regnen, und wir schlichen uns durch dicke Dunstschwaden zurück. Hahnrei Ho erwartete uns am Eingang des Begräbnisplatzes. Seine Augen strahlten wie damals, als Leuchtender Stern durch die halb geschlossene Tür gesprungen war. Wir gingen / wischen den Gräbern entlang, und als wir uns dem Mausoleum der Ahne näherten, hörten wir das schwache Geräusch von Schaufeln. »Ho, ich vermute, daß ein paar vom Abschaum der Erde, den Eierabschneider Wang um sich versammelt hat, deine Tochter berauben«, sagte Meister Li nachdenklich. »Hast du etwas dagegen, daß ihr Sarg geplündert wird?«
    »Nicht im geringsten«, erwiderte Hahnrei Ho. »Meine geliebte Frau und ihre sieben dicken Schwestern haben sich von ziemlich teurem Schmuck getrennt, und ich bezweifle ernsthaft, daß meine liebe Tochter es verdient, ihn mitzunehmen.«
    Hinter seinem sanftmütigen Äußeren verbarg sich ein eisenharter Kern. Wir hörten, wie Schaufeln gegen den Sarg stießen und dann, wie der Deckel entfernt wurde.
    »Taugt dieses Zeug etwas?« fragte eine seltsam bekannte Stimme. Es entstand eine Pause, in der das »Zeug« begutachtet wurde, dann antwortete eine zweite seltsam bekannte Stimme: »Beste Qualität.« Der Dunst lichtete sich gerade soweit, daß ich im Mondlicht eine Klinge aufblitzen sah.
    »Nimm du das Messer«, sagte die erste Stimme,

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