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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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tun«, erwiderte Meister Li achselzuckend. Dann fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu: »Nein, um die Wahrheit zu sagen, dieser eigenartige Fall fasziniert mich inzwischen. Wenn jemand versuchen würde, ihn mir zu entreißen, würde ich schreien wie ein kleines Kind, dem man ein glänzendes buntes Spielzeug weggenommen hat. Es würde mir helfen, wenn ich wüßte, was die Kinder eigentlich gemacht haben.«
    »Sie haben das Hüpf-Versteck-Spiel gespielt«, sagte ich. »Das was?«
    »Das Hüpf-Versteck-Spiel«, sagte der Abt.
    Das Kloster finanziert sich durch die Herstellung eines sehr guten Weins. Zwar war es dem Abt und den Mönchen verboten, davon zu trinken, doch er goß Li Kao und mir einen Becher ein. »Es handelt sich um ein sexuelles Vererbungsspiel. Die Kinder von Ku-fu spielen es schon, solange man denken kann«, erklärte der Abt, »und es geht darum, die roten Haarbänder der Mädchen zu erobern. Die Kinder ziehen auf dem Boden einen großen Kreis. Es können allerdings auch natürliche Begrenzungen benutzt werden. Die Jungen versuchen, den Mädchen die Haarbänder zu entreißen, doch sie müssen dabei auf einem Bein hüpfen. Das taten sie, als sie die Schultern auf und ab bewegten. Die Mädchen versuchen, die Jungen mit den Bändern zum Stolpern zu bringen. Daher die weitausholenden, ziehenden Bewegungen. Ein Junge, der stolpert, wird zum Gefangenen der Mädchen und scheidet aus dem Spiel aus. Ein Mädchen, das sein rotes Haarband verliert, wird zur Gefangenen der Jungen und scheidet ebenfalls aus.«
    Li Kao zeigte weit mehr Interesse, als ich erwartet hätte. »Da die Jungen nur auf einem Bein hüpfen dürfen, müßten die Mädchen eigentlich meist gewinnen«, sagte er nachdenklich. »Eigentlich schon«, stimmte der Abt trocken zu, »doch sie wissen instinktiv, daß eine Niederlage der beste Beginn beim langen Feldzug im Kampf der Geschlechter ist. Im Grunde geht es bei dem Spiel um das Kichern, das Anfassen und Betasten der Körper. Deshalb ist es immer wieder so beliebt. Schließlich bleibt nur ein Mädchen übrig und wird, nachdem es gefangen ist, zur Königin. Der Junge, der ihr Haarband erobert, wird zum König. In diesem Fall waren es Fangs Reh und Klein Hong. Die anderen Kinder verbinden sich die Augen. Der König versteckt die Königin irgendwo innerhalb des Kreises, und die anderen müssen versuchen, sie durch Tasten zu finden. Das führt zu noch mehr Kichern, Betasten und Befingern der Körper, doch jetzt ist es zeitlich begrenzt. Als Klein Hong die Lippen bewegte, zählte er langsam bis neunundvierzig.«
    »Ändert sich die Zahl jemals?« fragte Meister Li. »Nein, Meister«, antwortete ich.
    »Tragen Sie formelle Titel wie Königin von X und König von Y?«
    »Nein, Meister«, antwortete ich.
    »Das Seltsame war«, sagte der Abt, »daß sie das Spiel plötzlich unterbrochen und gelauscht haben, und dann diesen uralten Reim gesungen haben, der angeblich vom Drachenkissen stammt. Er hat nichts mit dem Hüpf-Versteck-Spiel zu tun.«
    Li Kao füllte seinen Becher, dann ging er zum Fenster und blickte hinaus auf diese merkwürdige Mauer, wo der Überlieferung nach der Geist von Wan Wache hielt.
    »Doch als sie den Reim gesungen hatten, fanden sie plötzlich die Königin«, sagte er nachdenklich.
    »Ja, Meister«, sagte ich, »Affe berührte Fangs Reh, ehe Klein Hong bis neunundvierzig gezählt hatte, und sie lächelte, weil sie das Spiel gewonnen hatte.«
    Li Kao leerte den Becher mit einem Zug und drehte sich wieder zu uns um.
    »Die Kinder waren völlig bewußtlos. Sie bekamen eine winzige Probe der Großen Wurzel..., und wie haben sie darauf reagiert? Jedes Kind fing sofort an, das Hüpf-Versteck-Spiel zu spielen, und jedes Kind sang einen Reim, den die Kinder dieses Dorfes vor vielen hundert Jahren zum ersten Mal am Drachenkissen gehört haben. Ich ahne langsam, daß die einfache Suche nach einer Ginsengwurzel mit mehr Rätseln verbunden ist als die Geheimnisvolle Höhle der Winde, wo die Weiße Schlange Helden in der kalten Umklammerung von Rätseln erdrückt. Vermutlich phantasiere ich, aber ich möchte wetten, daß der Geist einer ermordeten Zofe irgendwie da hineinpaßt.« Er wendete sich an den Abt. »Ehrwürden, seid Ihr bei Euren Studien von Mythen und Volksbräuchen auf den Geist einer Zofe gestoßen, der flehentlich darum bittet, daß Vögel fliegen müssen?« Der Abt schüttelte den Kopf.
    »Oder Geister, die Menschen darum bitten, Dinge gegen Federn auszutauschen?

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