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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Möglicherweise Dinge wie das hier?« Er holte die winzige Flöte aus seinem Schmugglergürtel. Der Abt betrachtete sie interessiert, aber ohne etwas damit anfangen zu können. Li Kao seufzte, setzte sie an die Lippen und blies vorsichtig hinein. Plötzlich warf er die Flöte auf den Boden, wir sprangen alle drei zurück und starrten sie an, wie man vielleicht eine Kobra anstarren würde.
    Aus diesem unglaublichen Ding drang kein Flötenton. Statt dessen hörten wir eine alte Frau mit einer so vollen und warmen Stimme, daß sie die Großmutter aller Menschen hätte sein können.
    »Aiieee! Aiieeee! Kommt her, ihr Kinder! Spitzt die Ohren wie Elefanten, und ich will euch die Geschichte von einem Mädchen namens Schönheit erzählen, von seiner bösen Stiefmutter und seiner guten Patentante, der Fee, und von der verzauberten Fischgräte, von der Kutsche und dem kleinen Schuh, den Schönheit verlor, und durch den sie einen schönen Prinzen bekam!«
    Li Kao sprang mit einem Satz vorwärts. Er packte die Flöte, hielt die ersten vier winzigen Fingerlöcher zu, und die Stimme verstummte augenblicklich. Er legte den Finger auf das zweite Fingerloch und blies vorsichtig in das Mundstück.
    »Aieee! Aiieeee! Kommt her, ihr Kinder! Spitzt die Ohren wie Elefanten, und ich will euch die Geschichte von der alten Frau und ihrem kleinen Jungen erzählen und von der Kuh, dem Korn und dem Hausierer und von der Bohne, die bis in die Wolken wuchs, und was geschah, als der kleine Junge an ihr hinauf in eine Welt der Wunder kletterte!«
    Li Kao versuchte es mit den anderen Fingerlöchern, und jedesmal hörten wir eine Geschichte, die chinesische Kinder seit mindestens tausend Jahren in Entzücken versetzt, Geschichten, die sogar bis zu den Barbaren gedrungen sind. Meister Li unterbrach die letzte Geschichte und betrachtete das Winderding finster.
    »Meister Li, wir können diese Flöte gegen zehntausend Tonnen Federn eintauschen«, sagte ich.
    »Und die Insel Taiwan als Zugabe«, sagte der Abt mit schwacher Stimme.
    Meister Lis Blick wanderte von der Flöte zur Tür zum Krankenzimmer, wo die Kinder lagen, und wieder zur Flöte. »Da haben wir es!« knurrte er, »Ochse, wir haben einen bösen Herzog, der Gedanken lesen kann und über ein Beil in seinem Körper lacht, wir haben Schätze in Labyrinthen, die angeblich von Ungeheuern bewacht werden, Flöten, die Märchen erzählen, einen rätselhaften Geist, der aus einem Märchen stammen könnte, ein uraltes Kinderspiel und eine gespenstische Botschaft vom Drachenkissen. Falls du dich fragst, wo die böse Stiefmutter bleibt, warte nur ab, sie wird noch bestimmt auftauchen.«
    Er verstaute die Flöte wieder in seinem Gürtel und hob warnend den Zeigefinger vor meine Nase.
    »Nichts auf der Welt... und ich meine nichts... ist auch nur halb so gefährlich wie eine Kindergeschichte, die sich als wahr erweist. Du und ich, wir irren beide mit einer Binde vor den Augen durch ein Märchen, das sich ein Verrückter ausgedacht hat. Denk an meine Worte!« rief er ärgerlich, »wenn der Schlüsselhase uns zu einem anderen Schatz des Königs führen kann, werden wir bestimmt einer zweihundert Fuß langen, geschuppten und geflügelten Wasserschlange begegnen, deren Giftstrahl das Auge einer Fliege auf zwanzig Meilen trifft, und die nur von einem Helden erschlagen werden kann, der am einunddreißigsten Februar während einer totalen Mondfinsternis im Innern einer Stricknadel geboren worden ist.« Ich wurde rot und blickte betreten auf meine Füße. »Wenn Ihr nichts dagegen habt, würde ich mir eher Sorgen machen über Köpfe, die in blutgefüllte Becken fallen, die kein Märchen sind«, erwiderte ich zaghaft. »Daran ist etwas Wahres«, seufzte er.
    Meister Li sah den Abt schief an und zuckte mit den Schultern. »Das Übernatürliche kann sehr beunruhigend sein, bis man den Schlüssel findet, der es in eine Wissenschaft verwandelt«, bemerkte er freundlich. »Vermutlich sehe ich Schwierigkeiten, wo es keine gibt. Komm, Ochse, machen wir uns auf den Weg und lassen uns umbringen.«
    Der Herzog von Ch'in war in Begleitung von Schlüsselhase und Lotuswolke zu seiner jährlichen Steuerrundreise aufgebrochen, und wir holten die Gesellschaft in Chuyen ein. Leider befanden sich die Räume des Schlüsselhasen hoch oben in einem unersteigbaren Turm im Palast des Gouverneurs der Provinz. Es gab keine Ranken, an die man sich hätte klammern, keine Vorsprünge, an denen man sich beim Klettern hätte festhalten

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