Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel
schlug zischend über meinem Kopf zusammen, während ich versuchte, mich mit den Schultern durch die enge Öffnung zu winden. Meine Lunge drohte zu bersten, und ich war dicht davor, das Bewußtsein zu verlieren, als die Flut ihren Höhepunkt erreichte und mein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß. Keuchend rang ich nach Luft und kletterte weiter. Stunden schienen zu vergehen, ehe der erste schwache Lichtschein die pechschwarze Dunkelheit durchbrach. Hoch über uns erschien ein kleiner schimmernder Kreis. Ich erreichte ihn mit letzter Kraft, kletterte über den Rand, und wir befanden uns in einer kleinen Höhle. Die Sonne war untergegangen, und das Licht kam vom aufgehenden Mond. Wir standen in einer Höhle hoch über dem Meer, und als der Mond höher stieg, drangen die blassen Strahlen immer tiefer in die dunkle Höhle, und dort begann etwas zu glitzern. »Großer Buddha, Lotuswolke würde es hier gefallen!« stieß ich hervor.
Das Gold, die Diamanten, Smaragde und Rubine, die sich hier zu Bergen türmten, hätten sie nicht interessiert, doch das meiste waren Perlen und Jade. Tonnen davon, und ich meine Tonnen! Als der Mond noch höher stand und die ganze unvorstellbare Beute beschien, entschied ich, daß nicht nur ein Herzog solchen Reichtum zusammengetragen haben konnte. Es mußte das gemeinsame Werk aller Herzöge von Ch'in sein, angefangen beim ersten, und wenn es um Geld ging, waren sie alle nicht wählerisch gewesen. Billige Kupfermünzen lagen neben Gold, und Halbedelsteine bedeckten die kostbarsten Gemmen. Eine zerbrochene Holzpuppe blickte mit winzigen Türkisaugen auf ein Zepter, das die meisten Königreiche ruiniert hätte. Und vor einer riesigen juwelengeschmückten Krone lag ein falsches Gebiß aus Elfenbein. Li Kao betrachtete das unglaubliche Monument der Habgier mit zusammengekniffenen Augen. Dann legte er mir die Hand auf die Schulter. »Ich möchte nicht wissen, wie viele Menschen für dieses Zeug ihr Leben lassen mußten, und ich glaube, daß einer von ihnen etwas dazu sagen möchte«, flüsterte er.
Ich folgte der Richtung seiner Augen, und schließlich sah ich es. Ganz oben auf dem Schatz war ein Schatten, wo kein Schatten sein sollte, Li Kao ließ meine Schulter nicht los.
»Ochse, rühr dich nicht von der Stelle, bis wir sehen, was hinter dem Geisterschatten liegt. Vielleicht ist es eine wichtige Warnung«, flüsterte er.
Ich versuchte, mein klopfendes Herz zu beruhigen. Ich dachte an nichts als an eine angenehme warme Decke, dann griff ich in Gedanken danach und zog sie mir über den Kopf.
Es geschah etwas Merkwürdiges.
Ich blickte auf ein Mädchen, das ganz sicher ermordet worden sein mußte, denn ihr Kleid war blutbefleckt, wo die Klinge sie ins Herz getroffen hatte. Nach ihrer Kleidung zu urteilen, mußte sie vor tausend Jahren gelebt haben, und ich spürte mit allen Fasern meines Körpers, daß sie eine ungeheure Anstrengung unternahm, um vor uns zu erscheinen. Sie blickte uns flehend an, und als sich ihre Lippen öffneten, überflutete mich eine heiße Welle der Qual. »Habt Erbarmen mit einer treulosen Zofe«, flüsterte sie. »Sind tausend Jahre nicht genug?« Zwei durchsichtige Geistertränen liefen ihr langsam über die Wangen. »Ich schwöre, ich wußte nicht, was ich tat. O habt Erbarmen und tauscht dies gegen die Feder aus«, schluchzte sie. »Die Vögel müssen fliegen.«
Dann war sie verschwunden. Li Kao lockerte den Griff um meine Schulter. Ich konnte unmöglich richtig gehört haben. Ich setzte mich auf, neigte den Kopf und schüttelte das Wasser aus meinem Ohr. »Etwas gegen eine Feder austauschen?«
»Wie merkwürdig, das habe ich auch gehört«, erklärte Meister Li. »Auch etwas von Vögeln, die fliegen müssen, was keinen Sinn ergibt, es sei denn, sie bezog sich auf die Geschichten von Reisenden über Vögel, die nicht fliegen können, wie Pinguine, Strauße und andere sagenumwobene Geschöpfe.«
»Ich glaube, sie hielt etwas in ihren Händen«, sagte ich. Ich kletterte auf den Berg von Edelsteinen und rutschte mit einem winzigen Jadekästchen in der Hand wieder hinunter. Li Kao nahm es entgegen, drehte und wendete es im Mondlicht nach allen Seiten, und als er den Deckel öffnete, jubelte ich vor Freude. Starker Ginsengduft stieg mir in die Nase, aber Li Kao äußerte sich zurückhaltender. Er kippte das Kästchen, und zwei winzige Würzelchen von vertrautem Aussehen fielen ihm in die geöffnete Hand. »An den Knien abgewinkelte Beine«, seufzte er. »Nach
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