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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Reichtum zu vergrößern. Geld allein zählte, nur Geld, und ich durfte nichts davon ausgeben, denn ich würde alles für den Alten Vom Berge brauchen. Ich bemerkte nicht, daß ich den Verstand verloren hatte, doch im Laufe der Jahre vergaß ich, wozu ich das Geld brauchte. Hin und wieder fiel es mir ein, aber dann sagte ich mir vor, ich würde doppelt soviel Geld brauchen, um den weisesten Mann der Welt dafür zu bezahlen, daß er meine Tochter wieder zum Leben erweckte. Ich vergrub das Gold in Truhen und setzte alles daran, noch mehr zu scheffeln. Ich wurde Geizhals Shen, der habgierigste und erbärmlichste Mann der Welt, und das wäre ich geblieben, wenn Lotuswolke mich nicht um meinen Reichtum gebracht und mir die Augen geöffnet hätte.
    Edle Herren, es gibt Frauen, die in das Herz eines Mannes sehen können, und Ihr sollt wissen, daß Lotuswolke niemals Geizhals Shen erhörte, sondern einen armen Bauern, der sein Töchterchen zu sehr liebte und darüber den Verstand verloren hatte.«
     

18.
Die Hand der Hölle
     
    Wir wanderten nachts und verbrachten die Tage im Zelt, wo wir von der Hitze praktisch gebraten wurden. Wenn wir durch die Falten der Leinwand spähten, sahen wir die Spiegelungen unzähliger Sonnen im blendenden weißen Salz. Um sie herum tanzten orange und violette Strahlenkränze, und bei längerem Hinsehen wurde uns davon ganz schlecht im Magen. Wirbelwinde schrieben verrückte Zeichen auf den Boden, und der Wind heulte schaurig. Selbst nachts ließ uns die Hitze nicht aus ihren glühenden Fängen, und der Mond und die Sterne verschwanden immer wieder hinter dem tanzenden Salz. Die schwache Spur, von der wir hofften, sie sei ein Weg, führte scheinbar endlos weiter und weiter. Wir empfanden es als eine gewisse Erleichterung, als wir begannen, Luftspiegelungen zu sehen, denn endlich gab es etwas, womit wir uns beschäftigen konnten.
    Ich sah vielleicht ein Schloß mit einer silbernen Kuppel in einem smaragdgrünen See. »Nein, nein!« widersprach Geizhals Shen. »Es ist ein hoher Felsen, der aus einem Fluß aufragt, und auf dem Felsen nisten unzählige Vögel. Ich glaube, es sind Möwen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie Möwen in die Wüste kommen sollen.« Meister Li schnaubte verächtlich und sagte: »Unsinn. Ich sehe deutlich ein großes Lustschiff auf einem Teich, und Bäume mit leuchtend grünen Blättern säumen das Ufer.«
    Dann löste sich die Luftspiegelung auf, und wir starrten wieder in die endlose Weite aus weißem Salz.
    Wir sahen Städte, Friedhöfe, Armeen in Schlachtformation, aber immer Wasser und eine Art grüne Oase. Die Tage vergingen, und wir mußten unser Trinkwasser rationieren. Der Durst begann uns zu quälen. Eines Tages wies Geizhals Shen voraus. »Seht euch diese schaurige Fata Morgana an!« rief er. »Fata Morgana?« sagte ich, »Shen, es ist wirklich der Alptraum eines schwachsinnigen Affen.«
    Li Kao betrachtete das schimmernde Bild lange und eingehend und forderte uns dann auf: »Beschreibt mir bitte, was ihr seht.«
    »Also ich sehe die übliche grüne Oase, aber sie ist umgeben von Trümmerbergen«, erwiderte Geizhals Shen. »Aus dem Innern der Erde steigen zischende Dampffontänen auf, und der entsetzliche Gestank von Schwefel liegt in der Luft.«
    »Um die ganze Fata Morgana zieht sich ein breiter Gürtel wie ein Graben, der mit einer eigenartigen feurigen Flüssigkeit gefüllt ist, die geradezu widerlich brodelt«, sagte ich.
    »Meine Freunde, ich bedaure berichten zu müssen, daß ich genau dasselbe sehe«, erklärte Meister Li finster. »Es ist keine Fata Morgana, und der Weg, dem wir folgen, führt geradewegs dorthin.« Beim Näherkommen entdeckten wir, daß vor uns die Ruinen einer großen Stadt lagen, über die eine verheerende Katastrophe hereingebrochen sein mußte. Die Mauern waren eingestürzt. Ein einziger schmaler Stützbogen der ehemals mächtigen steinernen Brücke überspannte einen Graben, in dem sich früher wahrscheinlich einmal weiße Schwäne und Goldfische im blauen Wasser tummelten, wo jetzt aber glühende rotschwarze Lava blubberte. Auf der anderen Seite erhob sich ein riesiges offenes Tor, dessen schwere Bronzeflügel von einer unvorstellbaren Kraft verbogen und verdreht worden waren. Als wir unruhig den Graben überquerten und das Tor durchschritten, bot sich uns ein schrecklicher Anblick: Dampf zischte wie der Atem zorniger Drachen aus großen klaffenden Löchern in der Erde, in vielen kleinen Teichen wogte und brodelte

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