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Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel

Titel: Meister Li 01 - Die Brücke der Vögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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werden, und im Umkreis von vielen Meilen werden die armen Bauern Euch als Alte Großzügigkeit kennen.«
    Schließlich fand ich auch meine Stimme wieder. »Geizhals Shen, wenn das Schicksal es will, daß ich Lotuswolke wiedersehe, werde ich ihr Eure Geschichte erzählen. Sie wird um Euch weinen, und sie wird Euch nicht vergessen, und solange ich lebe, werdet Ihr im Herzen von Nummer Zehn der Ochse lebendig sein.«
    Wir beteten gemeinsam und vollzogen das symbolische Opfer, doch wir konnten die Leiche im harten Felsen nicht begraben. Deshalb baten wir den Geist um Vergebung dafür, daß wir der Sitte nicht Genüge tun konnten. Dann erhoben wir uns, verbeugten uns, und Li Kao griff nach der Fackel.
    »Meister Li, setzt Euch auf meinen Rücken, dann kommen wir schneller voran, wenn wir um unser Leben rennen müssen«, schlug ich vor.
    Er tat es, und ich lief den Gang entlang, der immer weiter anstieg. Nach etwa einer Stunde war das Läuten der Glocken überhaupt nicht mehr zu hören. (Falls einer meiner Leser zufällig in diese Gegend kommen sollte, rate ich ihm dringend, die Höhle der Glocken zu besuchen, denn dort erklingt wirklich himmlische Musik. Sie wurde lediglich von bösen Menschen zu einem bösen Zweck benutzt, aber das liegt schon lange zurück.) Das schöne Lied der Glocken war gerade verstummt, als ich um eine Ecke bog, und der Schein der Fackel, die Li Kao in der Hand trug, eine vertraute Gestalt traf. Der kleine Mönch im roten Gewand stand höhnisch grinsend vor uns. »Halt, du Dummkopf! Hast du aus dem Tod von Geizhals Shen nichts gelernt?« schrie Meister Li, als ich vorwärts stürmte. Ich versuchte anzuhalten, aber es war zu spät. Ich hatte die Hände ausgestreckt, um den Mönch zu erwürgen, und mein Gewicht riß mich nach vorne. Mit dem nächsten Schritt trat ich auf eine Schilfmatte, die geschickt als Stein getarnt war. Ich versank wie im Wasser, stürzte kopfüber in die Tiefe und schlug so schwer auf dem Boden auf, daß mir schwarz vor Augen wurde. Die Fackel war mit uns gefallen, und als ich mich weit genug erholt hatte, um mich umzublicken, entdeckte ich, daß wir in einer etwa acht Fuß breiten und fünfzehn Fuß tiefen Grube saßen. Die Wände bestanden aus sorgfältig zusammengefügten Steinquadern. Ich hörte ein metallisches Knirschen und blickte nach oben. Mir blieb beinahe das Herz stehen. Der kleine Mönch zog mit aller Kraft an einer schweren Kette, und ein Eisendeckel glitt langsam über die Grubenöffnung.
    Li Kao hob die Hand hinter das rechte Ohr. »Ein Geschenk von Geizhals Shen!« schrie er, und im Schein der Fackel sah ich ein blitzendes Messer durch die Luft sausen. Der Mönch ließ die Kette los, griff sich an den Hals und zerrte an dem Griff, der dort steckte. Er verdrehte die Augen, Blut spritzte hervor, er röchelte schrecklich und stürzte über den Rand der Grube.
    Ich hob die Hände, um ihn aufzufangen, doch er kam nicht unten an. Seine Beine verfingen sich in der Kette, und er blieb mit einem gewaltigen Ruck in der Luft hängen. Voll Entsetzen bemerkte ich, daß er durch sein Gewicht den Eisendeckel weiter und weiter über die Öffnung zog, bis er schließlich mit einem dröhnenden metallischen Schlag die Grube völlig verschloß. Ich griff nach der Kette, kletterte über den baumelnden Mönch nach oben und drückte mit ganzer Kraft gegen den Deckel. Doch alle Mühe war vergebens. Die Eisenplatte hatte sich in die dafür bestimmten Steinrillen gelegt, und ich konnte sie nicht hochstemmen. »Meister Li, sie rührt sich nicht vom Fleck«, keuchte ich. Ich sprang auf den Steinboden zurück. Unsere Fackel brannte gelb. Bald würde sie orange, dann blau und schließlich überhaupt nicht mehr brennen. Bevor wir erstickten, würden wir nur noch die Schwärze unseres Grabes sehen.
    Ich habe panische Angst vor kleinen geschlossenen Räumen. »Sapa-rah, tarata, mita, prajna, para...« murmelte ich.
    »Ach, hör mit dem Unsinn auf und mach dich an die Arbeit«, knurrte Meister Li gereizt. »Ich habe nichts gegen Buddhismus, aber du könntest wenigstens in einer zivilisierten Sprache quasseln... entweder das, oder wenigstens die besser lernen, die du massakrierst. Er hob ein paar Steine auf und drückte mir einen in die Hand. Li Kao prüfte sorgfältig die Wände der runden Grube, indem er gegen die Quadern klopfte. Ich kletterte an der Kette hinauf und klopfte die Steine weiter oben ab. Beim zweiten Durchgang hörte Li Kao ein schwaches hohles Echo. Er untersuchte die Stelle

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