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Meister Li und der Stein des Himmels

Meister Li und der Stein des Himmels

Titel: Meister Li und der Stein des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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hinunter,
gingen durch das Unterholz, blieben wie angewurzelt stehen und starrten
ungläubig. »Ich glaube, ich bin der Steinerne Affe«, sagte Meister Li leise.
Der Tod hatte einen eisigen Finger auf die Prinzentrift gelegt. In einem etwa
dreißig Fuß breiten und fünfmal so langen Streifen war nichts Lebendes zu
sehen. Die Bäume waren kahl und tot und völlig vertrocknet, wie ich entdeckte,
als ich einen Zweig abbrach. Die Blumen waren verwelkt. Die Büsche hätten
ebensogut mit Gravursäure besprüht worden sein können. Nicht einmal das Gras
hatte überlebt, die braunen Halme brachen büschelweise unter unseren Füßen. Das
Ganze wirkte wie ein Friedhof, wie man ihn in einem Alpträum erlebt. Die Grenze
zwischen Leben und Tod war so scharf, daß sie mit dem Messer hätte gezogen sein
können. Ein Fingerbreit neben einer abgestorbenen Blume blühte eine andere,
üppiges Grün drückte sich an nacktes Braun, und Vögel sangen weniger als einen
Fuß entfernt von einer Stelle, an der nicht einmal ein Insekt mehr kroch. Meister
Li warf den Kopf zurück und lachte - aber nicht belustigt. »Unglaublich«, sagte
er, »Abt, Ochse und ich werden Pflanzen- und Bodenproben nach Ch'ang-an bringen
müssen, um sie analysieren zu lassen. Ich bezweifle, daß es sich lohnt,
Vermutungen anzustellen, ehe wir einen Bericht haben, aus dem hervorgeht, was
den Schaden verursacht hat. Macht Euch keine Sorgen. Das meiste an dieser Sache
scheint klar und recht einfach zu sein. Ich rechne damit, daß ich den Fall in
ein oder zwei Wochen abschließen kann .« Seine
Zuversicht heiterte den Abt auf, und er wies auf die Silhouette eines Dachs
hoch oben auf dem gegenüberliegenden Hügel.
    »Prinz Liu Pao ist
zurückgekehrt und brennt darauf, Euch zu sehen«, sagte er, »könnt Ihr
vielleicht erst dort haltmachen? Die Bauern ...« Er brach unsicher ab.
    »Möchten, daß der Prinz und
der Besucher aus der großen Stadt das Grab des Lachenden Prinzen aufsuchen und
sich davon überzeugen, daß der Schweinehund immer noch im Sarg liegt ?« beendete Meister Li den Satz. Der Abt nickte.
    »Es wird uns eine Ehre
sein, den lebenden Prinzen und den toten zu besuchen«, sagte Meister Li. »Ich
nehme an, Ihr habt viel zu tun. Wenn Ihr uns also den Weg zeigt, machen wir
einen Spaziergang hinauf ins Schloß und gehen dann weiter nach Ch'ang-an .«
    Der Abt war sichtlich
erleichtert, daß man von ihm nicht verlangte, das Grab des Lachenden Prinzen zu
betreten. Er wies uns den Weg, verbeugte sich, und als er davonlief, murmelte
er etwas, das wie »zweiundvierzig Kessel Fisch« klang. Ich sammelte Pflanzen- und
Bodenproben, und wir machten uns auf den Weg, um einen Aristokraten zu
besuchen, der, wie ich hoffte, gute Nerven hatte. Bei Tageslicht läßt sich der
Aberglaube leicht beiseite schieben, aber wenn die Eulen schreien, ist es eine
andere Sache. Der Wind seufzt wie flüsternde Geister, Mondlicht und Blätter
zaubern die Gestalten verrückter Mönche, die auf dem Gras tanzen, und im Haus
knarrt es, als schleiche sich ein vor langer Zeit verstorbener Wahnsinniger die
Treppe hinauf, und Prinz Liu Paos Schlafzimmer befand sich praktisch direkt
über der Grabkammer des Verrückten.
    4.
    Das Schloß war so groß, wie
man es vom Stammsitz der früheren Herren des Tals erwarten konnte, aber nur
noch ein kleiner Teil wurde bewohnt. Im Park wuchs Unkraut, und wohin ich
blickte, sah ich bröckelnde Ruinen. Ich glaube, ich erwartete eine klassische
Kulisse für eine Gruselgeschichte, aber als wir durch das Tor des noch
bewohnten Flügels traten, verflog dieser Gedanke. Der Vorhof war mit Felsen,
Kies und natürlicher Bepflanzung angelegt; der Geisterschirm bestand aus einem
schlichten roten Stein auf einem Sandelholzsockel. Wir gingen um ihn herum in
den Innenhof, und uns umgab eine Woge fröhlicher Farben. Überall blühten
leuchtende Blumen, und bunte Papageien und Kakadus begrüßten uns mit lautem
Krächzen. Eine lange, mit Kletterpflanzen bewachsene Veranda führte zu den
bewohnten Räumen; ein Stapel breitkrempiger Bauernhüte lag für Besucher bereit,
die etwas gegen Vogelkot hatten.
    Aus der Anlage des Ganzen
schloß ich, daß der Wohntrakt früher einmal die Küche gewesen war. Uns
begrüßten keine untertänigen Diener, aber die Tür stand offen. Wir betraten
einen Gang, standen jedoch nicht vor prächtigen Ahnentafeln, die die Halle des
Ruhms und der Schönheit ankündigten, sondern entdeckten nur eine schlichte
Tafel an der Wand. Meister Li war

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