Meister und Margarita
Galopp fallend.Und ihm nach, in drei Reihen, eilten Reiter, staubige Wolken aufwirbelnd. Schwerelos zuckten die Bambuspiken. Am Statthalter zogen Gesichter vorüber, die unter dem weißen Turban besonders dunkel erschienen und fröhlich die Zähne fletschten.
Eine Säule von Staub bis zum Himmel hebend, hetzte die Ala die Gasse hinauf. Und als Letzter ritt vorbei an Pilatus ein Soldat, hinter dessen Rücken im Sonnenlicht eine Trompete flammte.
Pilatus schützte sich vor dem Staub, runzelte unzufrieden die Stirn und schritt weiter zum Tor des Palastgartens, gefolgt vom Legaten, dem Sekretär und seiner Eskorte.
Es war um die zehnte Stunde des Morgens.
Kapitel 3
Der siebte Beweis
– Ja, es war um die zehnte Stunde des Morgens, verehrter Iwan Nikolajewitsch –, sagte der Professor.
Der Dichter strich sich über die Stirn, wie jemand, der eben erst zu sich kommt, und stellte fest: Auf dem Square war es Abend.
Das Wasser im Teich wurde schwarz. Darin flitzte bereits so ein leichtes Bötchen mit Paddelgeplätscher und Mädelgetschilpe. In den Alleen, an den Bänken zeigten sich Leute. Doch wie es der Zufall so wollte: nur auf den anderen Seiten des Quadrats, just nicht auf jener, wo sich unsre Freunde befanden.
Der Moskauer Himmel schien wie gebleicht, und ganz deutlich war in der Höhe der Vollmond zu sehen – noch nicht von goldener, sondern von weißer Farbe. Das Atmen fiel wesentlich leichter, und die Stimmen unter den Linden klangen jetzt weicher und abendlicher.
»Wieso merke ich nicht, wie der sich eine ganze Geschichte zusammenspinnt? …«, dachte Besdomny verblüfft. »Ist ja schon Abend! Aber vielleicht hat der das auch gar nicht erzählt? Vielleicht bin ich bloß eingepennt und hab’s geträumt?«
Dennoch ist eher anzunehmen, dass es der Professor erzählt hat. Sonst müsste man nämlich vermuten, Berlioz hätte dasselbe geträumt, denn er sagte etwas und sah dabei dem Fremden aufmerksam in die Augen:
– Ihr Bericht, Professor, ist hochgradig interessant, auch wenn er sich gar nicht mit den Evangelien deckt.
– Na, na, na! –, erwiderte der Professor mit gönnerhaftem Lächeln, – Sie wissen doch besser als ich, was von den Evangelienberichten im historischen Sinne zu halten sei! Fangen wir also gar nicht erst an, die Bibel als eine geschichtliche Quelle zu sehen, sonst … – Er lächelte wieder und Berlioz stockte mitten im Satz, hatte er doch zu Besdomny buchstäblich dasselbe gesagt, als sie zusammen über die Bronnaja zum Patriarchenteich marschiert waren.
– Das stimmt allerdings –, pflichtete Berlioz bei, – doch ich fürchte, was Sie uns soeben erzählt haben, wird gleichfalls niemand bestätigen können.
– Aber ja, wird bestätigen können –, versetzte in plötzlich gebrochenem Russisch der Professor und klang dabei recht überzeugend. Und auf einmal winkte er die Freunde geheimnisvoll zu sich heran.
Sie rückten von beiden Seiten näher, und er sprach, diesmal ohne jeden Akzent, der sich aberwitzigerweise mal zeigte, mal wieder verschwand:
– Immerhin –, der Professor blickte sich ängstlich um und redete im Flüsterton weiter, – war ich selber dabei. Auf der Galerie bei Pontius Pilatus, im Garten, als er sich mit Kaiphas unterhielt, und auch dort, auf der Tribüne. Natürlich nur insgeheim, gewissermaßen inkognito. Also – niemandem weitersagen! Das bleibt ganz unter uns! … Tsst!
Da wurde es still, und Berlioz erblasste.
– Sie … sind schon lange in Moskau? –, fragte er mit zittriger Stimme.
– Ich bin doch gerade erst angekommen –, antwortete der Professor zerstreut. Und erst jetzt fiel es den Freunden ein, ihm einmal ordentlich in die Augen zu sehen, um festzustellen, dass sein linkes, grünes komplett verrückt war, das rechte hohl, schwarz und tot.
»Na prima! Da klärt sich doch glatt alles auf!«, dachte Berlioz sichtlich verwirrt. »Ein Irrer aus Deutschland. Oder aber:Er ist soeben hier – am Patriarchenteich – übergeschnappt. Eine schöne Bescherung!«
Ja, in der Tat, alles klärte sich auf – das mehr als befremdliche Frühstück mit dem verstorbenen Philosophen Kant, die närrischen Reden von Annuschka und dem Sonnenblumenöl, die Prophezeiung vom abgeschnittenen Kopf und der ganze Rest: Der Professor ist halt ein Verrückter.
Berlioz wusste auch gleich, was zu tun war. Er lehnte sich auf der Bank zurück und begann, hinter dem Rücken des Professors Besdomny zuzuzwinkern, nach dem Motto: Bloß nicht widersprechen! Doch der
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