Meister und Margarita
Saal, der öffentliche Zutritt zur Trauerfeier sowie weitere Einzelheiten, das tragische Ereignis betreffend.
Die Gastronomie aber führte ihr übliches Nachtleben fort und hätte es wohl auch seelenruhig bis zur Sperrstunde (vier Uhr morgens) fortgeführt, wäre da nicht etwas ganz und gar Unerhörtes geschehen, das die Gäste wesentlich stärker verblüffte, als die Nachricht von Berlioz’ Tod.
Die Ersten, die den Braten rochen, waren die Kutscher draußen am Tor des Gribojedow-Hauses. Einer von ihnen fuhr offenbar hoch und rief:
– Ahoi! Ja, seht euch den mal an!
Im selben Moment flammte am Gusseisengitter, wie aus dem Nichts, ein Lichtlein auf und näherte sich der Veranda. Die Sitzenden begannen sich zu erheben, um genauer hinzusehen, und erkannten ein mit dem Lichtlein zusammen in Richtung Restaurant wandelndes weißes Gespenst. Als es bis ans Spalier vorgerückt war, erstarrten alle hinter ihren Tischchen mit Sterletstückchen auf der Gabel, die Augen weit aufgerissen. Der Portier kam gerade aus der Garderobe, um im Hof eine zu rauchen, und trat die Zigarette gleich wieder aus, worauf er am liebsten dem Gespenst entgegengerannt wäre, mit der unverkennbaren Absicht, ihm den Eintritt zum Restaurant zu verwehren. Doch aus irgendeinem Grund tat er es nicht und blieb stehen, stumpfsinnig lächelnd.
Und so gelangte das Gespenst durch die Öffnung im Spalier ungehindert auf die Veranda. Und erst da wurden’s alle gewahr: Es ist ja überhaupt kein Gespenst, vielmehr Iwan Nikolajewitsch Besdomny – ein hochberühmter Poet.
Er lief barfuß. Heller zerfledderter Bauernkittel, weiße gestreifte Unterhose. An der Brust, mit einer Nadel befestigt, die kleine Papierikone – das verwaschene Antlitz irgendeines unbekannten Heiligen. In der Hand hielt Iwan Nikolajewitsch die angezündete Traukerze. Seine Wange war frisch zerkratzt. Es fällt schwer, diese Totenstille, welche sich auf der Veranda ausbreitete, auch nur ungefähr zu ermessen. Einem Kellner lief aus dem schräg zur Seite geneigten Krug das Bier auf den Boden.
Der Poet hob die Kerze über den Kopf und verkündete:
– Friede sei mit euch, Freunde! –, darauf blickte er unter das nächste Tischchen und stellte traurig fest: – Schade, hier ist er nicht.
Jetzt wurden zwei Stimmen hörbar. Die tiefe, männliche sagte eiskalt:
– Klarer Fall. Überhitztes Hirn.
Und die zweite, erschrockene, weibliche sprach:
– Wie hat ihn denn bloß die Miliz in solch einem Aufputz durch die Straßen gelassen?
Iwan Nikolajewitsch hörte dies und gab zur Antwort:
– Zweimal hatten sie mich auch beinah. Am Skatertny und hier auf der Bronnaja. Doch da bin ich über den Zaun drüber. Hab’ mir die Wange aufgerissen, hier. – Und abermals hob Iwan Nikolajewitsch die Kerze und rief: – Ihr Brüder dem Schreiben nach! (Seine heisere Stimme klang fester und feuriger.) Höret, ihr alle! Er ist erschienen! Schnappt ihn euch, und zwar schnell, bevor er weiß Gott was für Unheil anrichtet!
– Wie? Was? Wie? Was hat er gesagt? Wer ist erschienen? –, tönte es jetzt von allen Seiten.
– Der Sachverständige! –, sagte Iwan, – dieser Sachverständige hat gerade am Patriarchenteich unseren Mischa Berlioz ermordet.
Da strömte das Volk aus dem Inneren des Saals auf die Veranda. Und siehe, eine gewaltige Menge sammelte sich um Iwans Licht.
– Bitte vielmals um Vergebung. Sie sollten’s schon etwas präzisieren –, vernahm Iwan ganz dicht an seinem Ohr eine leise, höfliche Stimme. – Wie sagten Sie doch gleich? Er wurde ermordet? Und von wem, wenn ich fragen darf?
– Von einem ausländischen Sachverständigen, einem Professor und einem Spion! –, erwiderte Iwan und schaute sich um.
– Und sein Name ist? –, raunte die Stimme weiter.
– Ja eben, der Name! –, rief Iwan voll Wehmut, – wenn ich den Namen nur wüsste! Auf der Visitenkarte konnt’ ich ihn schlecht erkennen … Ich weiß noch den ersten Buchstaben, ein »W«! Ein Name mit »W«! Was war das nur bloß für ein Name mit »W«? –, fragte Iwan sich selbst, die Hand an die Stirn gepresst. Und brabbelte plötzlich: – W, W, W! Wa… Wo… Waschner? Wagner? Weiner? Wegner? Winter? –, das Haar auf Iwans Kopf geriet in Bewegung vor lauter Mühe.
– Wulf? –, brachte mitleidig eine Frau hervor.
Aber Iwan ärgerte sich.
– Dumme Kuh! –, brüllte er und suchte nach ihr mit den Augen. – Was hat denn jetzt Wulf damit zu tun? Wulf ist unschuldig! Wo… Wo… Nein! Ich krieg’s nicht
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