Meistererzählungen
möglich? Aber es war möglich, es geschah. Es war unsinnig, es war toll, es war zum Lachen und zum Verzweifeln – aber es war so.
Genug nun von dieser Geschichte! Es endete damit, daß ich über den Sonntagnachmittag in der Dachkam-mer einge sperrt wurde. Einen Teil ihrer Schrecken verlor die harte Strafe durch Umstände, welche freilich mein Geheimnis waren. In der dunklen, unbenutzten Bodenkammer stand nämlich tief verstaubt eine Kiste, 323
halb voll mit alten Büchern, von denen einige keineswegs für Kinder bestimmt waren. Das Licht zum Lesen gewann ich durch das Beiseiteschieben ei nes Dachziegels.
Am Abend dieses traurigen Sonntags gelang es meinem Vater, kurz vor dem Schlafengehen mich noch zu einem kur zen Gespräch zu bringen, das uns versöhnte.
Als ich im Bette lag, hatte ich die Gewißheit, daß er mir ganz und vollkom men verziehen habe – vollkommener als ich ihm.
(1919)
Klingsors letzter Sommer
Vorbemerkung
Den letzten Sommer seines Lebens brachte der Maler Klingsor, im Alter von zweiundvierzig Jahren, in jenen südli chen Gegenden in der Nähe von Pampambio, Kareno und Laguno hin, die er schon in früheren Jahren geliebt und oft besucht hatte. Dort entstanden seine letzten Bilder, jene freien Paraphrasen zu den Formen der Erscheinungswelt, jene seltsamen, leuchtenden und doch stillen, traumstillen Bilder mit den geboge-nen Bäumen und pfl anzenhaften Häu sern, welche von den Kennern denen seiner ›klassischen‹ Zeit vorgezo-gen werden. Seine Palette zeigte damals nur noch wenige, sehr leuchtende Farben: Kadmium gelb und rot, Veronesergrün, Emerald, Kobalt, Kobaltviolett, französischen Zinnober und Geraniumlack.
Die Nachricht von Klingsors Tode erschreckte seine Freunde im Spätherbst. Manche seiner Briefe hatten Vorah nungen oder Todeswünsche enthalten. Hieraus mag das Ge rücht entstanden sein, er habe sich selbst das Leben genom men. Andre Gerüchte, wie sie eben einem umstrittenen Na men anfl iegen, sind kaum weniger haltlos als jenes. Viele behaupten, Klingsor sei schon seit Monaten geisteskrank ge wesen, und ein wenig ein-sichtiger Kunstschriftsteller hat ver sucht, das Verblüf-fende und Ekstatische in seinen letzten Bil dern aus diesem angeblichen Wahnsinn zu erklären! Mehr Grund 325
als diese Redereien hat die anekdotenreiche Sage von Klingsors Neigung zum Trunk. Diese Neigung war bei ihm vorhanden, und niemand nannte sie off enherziger mit Na men als er selbst.
Er hat zu gewissen Zeiten, und so auch in den letzten Mo naten seines Lebens, nicht nur Freude am häu-fi gen Pokulieren gehabt, sondern auch den Weinrausch bewußt als Betäubung seiner Schmerzen und einer oft schwer erträglichen Schwermut gesucht.
Li Tai Po, der Dichter der tiefsten Trinklieder, war sein Liebling, und im Rausche nannte er oft sich selbst Li Tai Po und einen seiner Freunde Th
u Fu.
Seine Werke leben fort, und nicht minder lebt, im kleinen Kreis seiner Nächsten, die Legende seines Lebens und jenes letzten Sommers weiter.
Klingsor
Ein leidenschaftlicher und raschlebiger Sommer war ange brochen. Die heißen Tage, so lang sie waren, loder-ten weg wie brennende Fahnen, den kurzen schwülen Mondnächten folgten kurze schwüle Regennächte, wie Träume schnell und mit Bildern überfüllt fi eberten die glänzenden Wochen da hin. Klingsor stand nach Mitternacht, von einem Nachtgang heimgekehrt, auf dem schmalen Balkon seines Arbeitszim
mers. Unter ihm
sank tief und schwindelnd der alte Terras sengarten hinab, ein tief durchschattetes Gewühl dichter Baumwipfel, Palmen, Zedern, Kastanien, Judasbaum, Blut buche, 326
Eukalyptus, durchklettert von Schlingpfl anzen, Lia nen, Glyzinien. Über der Baumschwärze schimmerten blaß-
spiegelnd die großen blechernen Blätter der Sommer-magnolien,riesige schneeweiße Blüten dazwischen halbgeschlossen, groß wie Menschenköpfe, bleich wie Mond und Elfen bein, von denen durchdringend und beschwingt ein inniger Zitronengeruch herüberkam.
Aus unbestimmter Ferne her mit müden Schwingen
kam Musik gefl ogen, vielleicht eine Gitarre, vielleicht ein Klavier, nicht zu unterscheiden. In den Gefl ügelhö-
fen schrie plötzlich ein Pfau auf, zwei- und drei mal, und durchriß die waldige Nacht mit dem kurzen, bösen und hölzernen Ton seiner gepeinigten Stimme, wie wenn das Leid aller Tierwelt ungeschlacht und schrill aus der Tiefe schellte. Sternlicht fl oß durch das Waldtal, hoch und verlas sen blickte eine weiße Kapelle aus dem endlosen Walde, ver zaubert
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