Meistererzählungen
sang
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Klingsor, leise, mit der etwas heiseren Stimme, sang leise und viel, deutsch und malaiisch, mit Wor ten und ohne Worte. Im leisen Gesang strömte er gestaute Fül-le aus, wie eine braune Mauer am Abend gesammeltes Ta geslicht ausstrahlt. Hier nahm einer der Freunde Abschied, und dort einer, schwand im Rebschatten auf kleinem Pfad dahin. Jeder ging, jeder war für sich, suchte Heimkehr, war allein unterm Himmel. Eine Frau küßte Klingsor zur guten Nacht, brennend sog ihr Mund an seinem. Weg rollten sie, weg schmolzen sie, alle. Als Klingsor allein die Treppe zu sei ner Wohnung erstieg, sang er noch immer. Er besang und lobte Gott und sich selbst, er pries Li Tai Po und pries den guten Wein von Pampambio. Wie ein Götze ruhte er auf Wolken der Bejahung.
›Inwendig‹, sang er, ›bin ich wie eine Kugel von Gold, wie die Kuppel eines Domes, man kniet darin, man betet, Gold strahlt von der Wand, auf altem Bilde blutet der Heiland, blutet das Herz der Maria. Wir bluten auch, wir Anderen, wir Irregegangenen, wir Sterne und Kometen, sieben und vierzehn Schwerter gehn durch unsre selige Brust. Ich liebe dich, blonde und schwarze Frau, ich liebe alle, auch die Phili ster; ihr seid arme Teufel wie ich, ihr seid arme Kinder und fehlgeratene Halbgötter wie der betrunkne Klingsor.
Sei mir gegrüßt, geliebtes Leben! Sei mir gegrüßt, geliebter Tod!‹
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Klingsor an Edith
Lieber Stern am Sommerhimmel!
Wie hast Du mir gut und wahr geschrieben, und wie ruft Deine Liebe mir schmerzlich zu, wie ewiges Leid, wie ewiger Vorwurf. Aber Du bist auf gutem Wege, wenn Du mir, wenn Du Dir selbst jede Empfi ndung des Herzens eingestehst. Nur nenne keine Empfi ndung klein, keine Empfi ndung un würdig! Gut, sehr gut ist jede, auch der Haß, auch der Neid, auch die Eifersucht, auch die Grausamkeit. Von nichts an drem leben wir als von unsern armen, schönen, herrlichen Gefühlen, und jedes, dem wir unrecht tun, ist ein Stern, den wir auslö-
schen. Ob ich Gina liebe, weiß ich nicht. Ich zweifl e sehr daran. Ich würde kein Opfer für sie bringen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt lieben kann. Ich kann begehren und kann mich in andern Menschen suchen, nach Echo aushor chen, nach einem Spiegel verlangen, kann Lust suchen, und alles das kann wie Liebe aussehen.
Wir gehen beide, Du und ich, im selben Irrgarten, im Gar ten unsrer Gefühle, die in dieser üblen Welt zu kurz gekom men sind, und wir nehmen dafür, jeder nach seiner Art, Rache an dieser bösen Welt. Wir wollen aber einer des andern Träume bestehen lassen, weil wir wissen, wie rot und süß der Wein der Träume schmeckt.
Klarheit über ihre Gefühle und über die ›Tragweite‹
und Folgen ihrer Handlungen haben nur die guten, gesi-cherten Menschen, die an das Leben glauben und keinen Schritt tun, den sie nicht auch morgen und übermorgen 366
werden billigen können. Ich habe nicht das Glück, zu ihnen zu zählen, und ich fühle und handle so, wie einer, der nicht an morgen glaubt und jeden Tag für den letzten ansieht.
Liebe schlanke Frau, ich versuche ohne Glück meine Ge danken auszudrücken. Ausgedrückte Gedanken sind immer so tot! Lassen wir sie leben! Ich fühle tief und dankbar, wie Du mich verstehst, wie etwas in Dir mir verwandt ist. Wie das im Buch des Lebens zu buchen sei, ob unsre Gefühle Liebe, Wollust, Dankbarkeit, Mitleid, ob sie mütterlich oder kind lich sind, das weiß ich nicht. Oft sehe ich jede Frau an wie ein alter gewiegter Wüstling und oft wie ein kleiner Knabe. Oft hat die keu-scheste Frau für mich die größte Verlockung, oft die üp-pigste. Alles ist schön, alles ist heilig, alles ist unendlich gut, was ich lieben darf. Warum, wie lange, in welchem Grad, das ist nicht zu messen.
Ich lieb nicht Dich allein, das weißt Du, ich liebe auch nicht Gina allein, ich werde morgen und übermorgen andre Bilder lieben, andere Bilder malen. Bereuen aber werde ich keine Liebe, die ich je gefühlt, und keine Weisheit oder Dummheit, die ich ihretwegen begangen.
Dich liebe ich viel leicht, weil Du mir ähnlich bist. Andre liebe ich, weil sie so anders sind als ich. Es ist spät in der Nacht, der Mond steht überm Salute. Wie lacht das Leben, wie lacht der Tod!
Wirf den dummen Brief ins Feuer, und wirf ins Feuer Deinen Klingsor
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Die Musik des Untergangs
Der letzte Tag des Juli war gekommen, Klingsors Lieb-lingsmonat, die hohe Festzeit Li Tai Pos, war verblüht, kam nimmer wieder, Sonnenblumen schrien im Garten golden ins Blau empor.
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