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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Untergang, mir scheint es viel leicht Geburt. Beides ist Täuschung. Der Mensch, der an die Erde glaubt als an die feststehende Scheibe unterm Himmel, der sieht und glaubt Aufgang und Untergang – und alle, fast alle Menschen glauben an die feste Scheibe! Die Sterne selbst wissen kein Auf und Unter.«
    »Sind nicht Sterne untergegangen?« rief Th
    u Fu.
    »Für uns, für unsre Augen.«
    Er schenkte die Tassen voll, immer machte er den Schen ken, immer war er dienstfertig und lächelte dazu.
    Er ging mit dem leeren Kruge weg, neuen Wein zu holen. Schmetternd schrie die Karussellmusik.
    »Gehen wir hinüber, es ist so schön«, bat Th
    u Fu,
    und sie gingen hin, standen an der bemalten Barriere, sahen im ste chenden Glanz der Pailletten und Spiegel das Karussell im Kreise wüten, hundert Kinder mit den Augen gierig am Glanze hängen. Einen Augenblick fühlte Klingsor tief und lachend das Urtümliche und Negerhafte dieser kreiselnden Maschine, dieser mechanischen Musik, dieser grellen wilden Bilder und Farben, Spiegel und irrsinnigen Schmucksäulen, alles trug Züge von Medizinmann und Schamane, von Zau ber und uralter Rattenfängerei, und der ganze wilde wüste Glanz 374
    war im Grund nichts andres als der zuckende Glanz des Blechlöff els, den der Hecht für ein Fischlein hält und an dem man ihn herauszieht.
    Alle Kinder mußten Karussell fahren. Allen Kindern gab Th
    u Fu Geld, alle Kinder lud der Schatten ein. In Knäueln umgaben sie die Schenkenden, hingen sich an, fl ehten, dank ten. Ein schönes blondes Mädchen, zwölf-jährig, dem gaben sie alle, sie fuhr jede Runde. Im Lich-terglanz wehte hold der kurze Rock um ihre schönen Knabenbeine. Ein Knabe weinte. Knaben schlugen sich.
    Peitschend knallten zur Orgel die Tschinellen, gossen Feuer in den Takt, Opium in den Wein. Lange standen die vier im Getümmel.
    Wieder saßen sie dann unterm Baume, in die Tassen goß der Armenier den Wein, schürte Untergang, lächelte hell.
    »Dreihundert Becher wollen wir heute leeren«, sang Klingsor; sein verbrannter Schädel glühte gelb, laut schallte sein Gelächter hin; Schwermut kniete, ein Riese, auf seinem zuckenden Herzen. Er stieß an, er pries den Untergang, das Sterbenwollen, die Tonart Tsing Tse. Brausend erscholl die Karussellmusik. Aber innen im Herzen saß Angst, das Herz wollte nicht sterben, das Herz haßte den Tod.
    Plötzlich klirrte eine zweite Musik wütend in die Nacht, schrill, hitzig, aus dem Hause her. Im Erdge-schoß, neben dem Kamin, dessen Gesimse voll schön geordneter Weinfl a schen stand, knallte ein Maschinen-375
    gewehr los, Maschinenge wehr, wild, scheltend, überstürzt. Leid schrie aus verstimm ten Tönen, Rhythmus bog mit schwerer Dampfwalze stöh nende Dissonan-zen nieder. Volk war da, Licht, Lärm, Bur schen tanzten und Mädchen, auch die hinkende Magd, auch Th
    u Fu.
    Er tanzte mit dem blonden kleinen Mädchen, Klingsor sah zu, leicht und hold wehte ihr kurzes Sommerkleid um die dünnen schönen Beine, freundlich lächelte Th u
    Fus Ge sicht, voll Liebe. An der Kaminecke saßen die andern, vom Garten hereingekommen, nah bei der Musik, mitten im Lärm. Klingsor sah Töne, hörte Farben.
    Der Magier nahm Flaschen vom Kamin, öff nete,
    schenkte ein. Hell stand sein Lächeln auf dem braunen klugen Ge sicht. Furchtbar donnerte die Musik im nie-dern Saal. In die Reihe der alten Flaschen überm Kamin brach der Armenier langsam eine Bresche, wie ein Tempelräuber Kelch um Kelch die Geräte eines Altars wegnimmt.
    »Du bist ein großer Künstler«, fl üsterte der Sterndeuter Klingsor zu, indem er seine Tasse füllte. »Du bist einer der größten Künstler dieser Zeit. Du hast das Recht, dich Li Tai Po zu nennen. Aber du bist, Li Tai, du bist ein gehetzter, ar mer, ein gepeinigter und angstvoller Mensch. Du hast die Musik des Untergangs angestimmt, du sitzest singend in dei nem brennenden Haus, das du selber angezündet hast, und es ist dir nicht wohl dabei, Li Tai Po, auch wenn du jeden Tag dreihundert Becher leerst und mit dem Monde anstößt. Es ist dir 376
    nicht wohl dabei, es ist dir sehr weh dabei, Sänger des Untergangs, willst du nicht innehalten? Willst du nicht leben? Willst du nicht fortdauern?«
    Klingsor trank und fl üsterte mit seiner etwas heisern Stimme zurück: »Kann man denn Schicksal werden?
    Gibt es denn Freiheit des Wollens? Kannst denn du, Sterndeuter, meine Sterne anders lenken?«
    »Nicht lenken, nur deuten kann ich sie. Lenken
    kannst nur du dich selbst. Es gibt

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