Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Zusammen mit dem treuen Th u
    Fu pilgerte Klingsor an diesem Tage durch eine Gegend, die er liebte: verbrannte Vorstädte, staubige Straßen unter hoher Allee, rot und orange bemalte Hütten am san-digen Ufer, Lastwa gen und Ladeplätze der Schiff e, lange violette Mauern, farbi ges armes Volk.
    Am Abend dieses Tages saß er am Rand einer Vor-
    stadt im Staube und malte die farbigen Zelte und Wagen eines Karus
    sells, am Straßenbord auf kahlem,
    versengtem Anger saß er hingekauert, angesogen von den starken Farben der Zelte. Tief biß er sich fest im verschossenen Lila einer Zeltborte, im freudigen Grün und Rot der schwerfälligen Wohnwagen, in den blau-weiß gestrichnen Gerüststangen. Grimmig wühlte er im Kadmium, wild im süßkühlen Kobalt, zog die verfl ie-
    ßenden Striche Krapplack durch den gelb und grünen Him
    mel. Noch eine Stunde, oh, weniger, dann war
    Schluß, die Nacht kam, und morgen begann schon der August, der bren nende Fiebermonat, der so viel Todes-furcht und Bangnis in seine glühenden Becher mischt.
    Die Sense war geschärft, die Tage neigten sich, der Tod lachte versteckt im bräunenden Laub. Klinge hell und schmettre, Kadmium! Prahle laut, üp piger Krapplack!
    Lache grell, Zitronengelb! Her mit dir, tief blauer Berg 368
    der Ferne! An mein Herz ihr, staubgrüne matte Bäume!
    Wie seid ihr müd, wie laßt ihr ergebene fromme Äste sinken! Ich trinke euch, holde Erscheinungen! Ich täusche euch Dauer und Unsterblichkeit vor, ich, der Vergänglichste, der Ungläubigste, der Traurigste, der mehr als ihr alle an der Angst vor dem Tode leidet. Juli ist verbrannt, August wird schnell verbrannt sein, plötzlich fröstelt uns aus gelbem Laub am betauten Morgen das große Gespenst entgegen. Plötzlich fegt November über den Wald. Plötzlich lacht das große Ge spenst, plötzlich friert uns das Herz, plötzlich fällt uns das liebe rosige Fleisch von den Knochen, in der Wüste heult der Schakal, heiser singt sein verfl uchtes Lied der Aasgei-er. Ein verfl uchtes Blatt der Großstadt bringt mein Bild, und darun ter steht: ›Vortreffl
    icher Maler, Expressionist,
    großer Kolorist, starb am sechzehnten dieses Monats.‹
    Voll Haß riß er eine Furche Pariserblau unter den grü-
    nen Zigeunerwagen. Voll Erbitterung schlug er die Kante Chromgelb auf die Prellsteine. Voll tiefer Verzweifl ung setzte er Zinnober in einen ausgesparten Fleck, vertilg-te das fordernde Weiß, kämpfte blutend um Fortdauer, schrie hellgrün und neapelgelb zum unerbittlichen Gott.
    Stöhnend warf er mehr Blau in das fade Staubgrün, fl ehend zündete er innigere Lichter im Abendhimmel an.
    Die kleine Palette voll reiner, unvermischter Farben von hellster Leuchtkraft, sie war sein Trost, sein Traum, sein Arsenal, sein Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach dem bösen Tode schoß. Pur pur war Leugnung des To-369
    des, Zinnober war Verhöhnen der Verwesung. Gut war sein Arsenal, glänzend stand seine kleine tapfere Trup-pe, strahlend läuteten die raschen Schüsse seiner Kanonen auf. Es half nichts, alles Schießen war ja vergebens, aber Schießen war doch gut, war Glück und Trost, war noch Leben, war noch Triumphieren.
    Th
    u Fu war gegangen, einen Freund zu besuchen, der dort zwischen Fabrik und Ladeplatz seine Zauberburg bewohnte. Nun kam er und brachte ihn mit, den arme-nischen Sterndeu ter. Klingsor, mit dem Bilde fertig, atmete tief auf, als er die beiden Gesichter bei sich sah, das blonde gute Haar Th
    u Fus, den schwarzen Bart und den
    mit weißen Zähnen lächelnden Mund des Magiers. Und da kam mit ihnen auch der Schat ten, der lange, dunkle, mit den weit zurückgefl ohenen Augen in den tiefen Höhlen. Willkommen auch du, Schatten, lieber Kerl!
    »Weißt du, was für ein Tag heut ist?« fragte Klingsor sei nen Freund.
    »Der letzte Juli, ich weiß.«
    »Ich stellte heut ein Horoskop«, sagte der Armenier,
    »und da sah ich, daß dieser Abend mir etwas bringen wird. Saturn steht unheimlich, Mars neutral, Jupiter do-miniert. Li Tai Po, sind Sie nicht ein Julikind?«
    »Ich bin am zweiten Juli geboren.«
    »Ich dachte es. Ihre Sterne stehen verwirrt, Freund, nur Sie selbst können sie deuten. Fruchtbarkeit umgibt Sie wie eine Wolke, die nahe am Bersten ist. Seltsam stehen Ihre Sterne, Klingsor, Sie müssen es fühlen.«

370
    Li packte sein Gerät zusammen. Erloschen war die Welt, die er gemalt hatte, erloschen der gelb und grüne Himmel, ertrunken die blaue helle Fahne, ermordet und verwelkt das schöne Gelb. Er war

Weitere Kostenlose Bücher