Meistererzählungen
nicht eben noch ein blaues Kopftuch getrafen? Hallo, alte Welt, trage Sorge, daß du nicht zusammenfällst! Hierher, Wald!
Dorthin, schwarzes Gebirg! Im Takt bleiben! Sterne, wie 361
seid ihr blau und rot, wie im Volkslied: Deine roten Augen und dein blauer Mund!‹
Malen war schön. Malen war ein schönes, ein liebes Spiel für brave Kinder. Anders war es, größer und wuchtiger, die Sterne zu dirigieren, Takt des eigenen Blutes, Farbenkreise der eigenen Netzhaut in die Welt hinein fortzusetzen, Schwebungen der eigenen Seele ausschwingen zu lassen im Wind der Nacht. Weg mit dir, schwarzer Berg! Sei Wolke, fl iege nach Persien, regne über Uganda! Her mit dir, Geist Shakespeares, sing uns dein besoff enes Narrenlied vom Re gen, der regnet jeglichen Tag!
Klingsor küßte eine kleine Frauenhand, er lehnte sich an eine wohlig atmende Frauenbrust. Ein Fuß unterm Tisch spielte mit seinem. Er wußte nicht, wessen Hand oder wessen Fuß, er spürte Zärtlichkeit um sich, fühlte alten Zauber neu und dankbar: er war noch jung, es war noch weit vom Ende, noch ging Strahlung und Verlockung von ihm aus, noch lieb ten sie ihn, die guten ängstlichen Weibchen, noch zählten sie auf ihn. Er blühte höher auf. Mit leiser, singender Stimme begann er zu erzählen, ein ungeheures Epos, die Geschichte einer Liebe, oder eigentlich einer Reise nach der Südsee, wo er in Begleitung von Gauguin und Robinson die Papageien insel entdeckt und den Freistaat der glückse-ligen Inseln be gründet hatte. Wie hatten die tausend Papageien im Abend licht gefunkelt, wie hatten ihre blauen Schwänze sich in der grünen Bucht gespiegelt! Ihr Ge-362
schrei und das hundertstim mige Geschrei der großen Aff en hat ihn wie ein Donner be grüßt, ihn, Klingsor, als er seinen Freistaat ausrief. Dem wei ßen Kakadu hatte er die Bildung eines Kabinetts aufgetra gen, und mit dem mürrischen Nashornvogel hatte er Palm wein aus schweren Kokosbechern getrunken. Oh, Mond von damals, Mond der seligen Nächte, Mond über der Pfahl hütte im Schilf! Sie hieß Kül Kalüa, die braune scheue Prin zessin, schlank und langgliedrig schritt sie im Pisanggehölz, honigglänzend unterm saftigen Dach der Riesenblätter, Rehauge im sanften Gesicht, Katzenglut im starken biegsa men Rücken, Katzensprung im federnden Knö-
chel und seh nigen Bein. Kül Kalüa, Kind, Urglut und Kinderunschuld des heiligen Südostens, tausend Näch-te lagst du an Klingsors Brust, und jede war neu, jede war inniger, war holder als alle gewesenen. Oh, Fest des Erdgeistes, wo die Jungfern der Pa pageieninsel vor dem Gotte tanzten!
Über Insel, Robinson und Klingsor, über Geschichte und Zuhörer wölbte sich die weißgestirnte Nacht, zärtlich schwoll der Berg wie ein sanfter atmender Bauch und Busen unter den Bäumen und Häusern und Füßen der Menschen, im Eilschritt tanzte fi ebernd der feuchte Mond über die Himmelshalbkugel, von den Sternen im wilden schweigen den Tanz verfolgt. Ketten von Sternen waren aufgereiht, gleißende Schnur der Drahtseilbahn zum Paradiese. Urwald dunkelte mütterlich, Schlamm der Urwelt duftete Verfall und Zeugung, Schlange kroch 363
und Krokodil, ohne Ufer er goß sich der Strom der Gestaltungen.
»Ich werde doch wieder malen«, sagte Klingsor,
»schon morgen. Aber nicht mehr diese Häuser und Leute und Bäume. Ich male Krokodile und Seesterne, Drachen und Purpurschlangen, und alles im Werden, alles in der Wand lung, voll Sehnsucht, Mensch zu werden, voll Sehnsucht, Stern zu werden, voll Geburt, voll Verwesung, voll Gott und Tod.«
Mitten durch seine leisen Worte und durch die aufgewühlte trunkene Stunde klang tief und klar Ersilias Stimme, still sang sie das Lied vom bel mazzo di fi ori vor sich hin, Friede strömte von ihrem Liede aus, Klingsor hörte es wie von einer fernen schwimmenden Insel über Meere von Zeit und Einsamkeit herüber. Er drehte seine leere Weintasse um, er schenkte nicht mehr ein.
Er hörte zu. Ein Kind sang. Eine Mutter sang. War man nun ein verirrter und verruchter Kerl, im Schlamm der Welt gebadet, ein Strolch und Luder, oder war man ein kleines dummes Kind?
»Ersilia«, sagte er mit Ehrerbietung, »du bist unser guter Stern.«
Durch steilen fi nstern Wald bergan, an Zweig und Wurzel geklammert, quoll man hinweg, den Heimweg suchend. Lichter Waldrand ward erreicht, Feld geentert, schmaler Weg im Maisfeld atmete Nacht und Heimkehr, Mondblick im spiegelnden Blatt des Maises, Rebenreihen schräg entfl ie
hend. Nun
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