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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hungrig und durstig, die Kehle hing ihm voll Staub.
    »Freunde«, sagte er herzlich, »wir wollen diesen Abend zusammenbleiben. Wir werden nicht mehr Zusammensein, wir alle vier, ich lese das nicht aus den Sternen, es steht mir im Herzen geschrieben. Mein Ju-limond ist vorüber, dunkel glühn seine letzten Stunden, in der Tiefe ruft die große Mut ter. Nie war die Welt so schön, nie war ein Bild von mir so schön, Wetterleuchten zuckt, Musik des Untergangs ist an gestimmt. Wir wollen sie mitsingen, die süße bange Musik, wir wollen hier beisammen bleiben und Wein trinken und Brot essen.«
    Neben dem Karussell, dessen Zelt eben erst abgedeckt und für den Abend gerüstet wurde, standen einige Tische unter Bäumen, eine hinkende Magd ging ab und zu, ein kleines Wirtshaus lag im Schatten. Hier blieben sie und saßen am Brettertisch, Brot wurde gebracht und Wein in die irdenen Schalen geschenkt, unter den Bäumen glommen Lichter auf, drüben begann die Orgel des Karussells zu erdröhnen, heftig warf sie ihre bröckelnde grelle Musik in den Abend.
    »Dreihundert Becher will ich heute leeren«, rief Li Tai Po und stieß mit dem Schatten an. »Sei gegrüßt, Schatten, stand hafter Zinnsoldat! Seid gegrüßt, elektri-371
    sche Lichter, Bogen lampen und funkelnde Pailletten am Karussell! Oh, daß Louis da wäre, der fl üchtige Vogel!
    Vielleicht ist er uns schon vorausgefl ogen in den Himmel. Vielleicht auch kommt er morgen wieder, der alte Schakal, und fi ndet uns nicht mehr und lacht und pfl anzt Bogenlampen und Fahnen stangen auf unser Grab.«
    Still ging der Magier und holte neuen Wein, froh lä-
    chelten seine weißen Zähne aus dem roten Mund.
    »Schwermut«, sagte er mit einem Blick zu Klingsor hin über, »ist eine Sache, die man nicht mit sich tragen sollte. Es ist so leicht – es ist das Werk einer Stunde, einer kurzen in tensiven Stunde mit zusammengebissenen Zähnen, dann ist man mit der Schwermut für immer fertig.«
    Klingsor sah aufmerksam auf seinen Mund, auf die hellen klaren Zähne, welche einst in einer glühenden Stunde die Schwermut erwürgt und totgebissen hatten.
    War auch ihm möglich, was dem Sterndeuter möglich gewesen war? Oh, kurzer süßer Blick in ferne Gärten: Leben ohne Angst, Leben ohne Schwermut! Er wußte, diese Gärten waren ihm uner reichbar. Er wußte, ihm war andres bestimmt, anders blickte zu ihm Saturn herüber, andre Lieder wollte Gott auf seinen Saiten spielen.
    »Jeder hat seine Sterne«, sagte Klingsor langsam,
    »jeder hat seinen Glauben. Ich glaube nur an eines: an den Unter gang. Wir fahren in einem Wagen überm Abgrund, und die Pferde sind scheu geworden. Wir stehen im Untergang, wir alle, wir müssen sterben, wir müssen 372
    wieder geboren werden, die große Wende ist für uns gekommen. Es ist überall das gleiche: der große Krieg, die große Wandlung in der Kunst, der große Zusammen-bruch der Staaten des Westens. Bei uns im alten Europa ist alles das gestorben, was bei uns gut und unser eigen war; unsre schöne Vernunft ist Irrsinn gewor den, unser Geld ist Papier, unsre Maschinen können bloß noch schießen und explodieren, unsre Kunst ist Selbstmord.
    Wir gehen unter, Freunde, so ist es uns bestimmt, die Tonart Tsing-Tse ist angestimmt.«
    Der Armenier schenkte Wein ein.
    »Wie Sie wollen«, sagte er. »Man kann ja sagen, und man kann nein sagen, das ist nur Kinderspiel. Untergang ist et was, das nicht existiert. Damit Untergang oder Aufgang wäre, müßte es unten und oben geben. Unten und oben aber gibt es nicht, das lebt nur im Gehirn des Menschen, in der Heimat der Täuschungen. Alle Gegensätze sind Täuschun gen: weiß und schwarz ist Täuschung, Tod und Leben ist Täuschung, gut und böse ist Täuschung. Es ist das Werk ei ner Stunde, einer glühenden Stunde mit zusammengebisse nen Zähnen, dann hat man das Reich der Täuschungen über wunden.«
    Klingsor hörte seiner guten Stimme zu.
    »Ich spreche von uns«, gab er Antwort, »ich spreche von Europa, von unsrem alten Europa, das zweitausend Jahre lang das Gehirn der Welt zu sein glaubte. Dies geht unter. Meinst du, Magier, ich kenne dich nicht? Du bist ein Bote aus dem Osten, ein Bote auch an mich, 373
    vielleicht ein Spion, vielleicht ein verkleideter Feldherr.
    Du bist hier, weil hier das Ende beginnt, weil du hier Untergang witterst. Aber wir ge hen gerne unter, du, wir sterben gerne, wir wehren uns nicht.«
    »Du kannst auch sagen: gerne werden wir geboren«, lachte derAsiate. »Dir scheint es

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