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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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leicht wie auf Fe dern. Ihr Blick traf ihn, kühl, ohne Erkennen.
    Er sah ihr Ge sicht hell beleuchtet, ein ruhiges und kluges Gesicht, fest und blaß, ein wenig blasiert, der ge-schminkte Mund blutrot, graue Augen voll Wachsamkeit, ein schönes, reich ausge formtes Ohr, an dem ein grüner länglicher Stein blitzte. Sie ging in weißer Seide, 445
    der schlanke Hals sank in Opalschatten hinab, von einer dünnen Kette mit grünen Steinen um spannt.
    Er sah sie an, heimlich erregt, und wieder mit zwie-spälti gem Eindruck. Etwas an ihr lockte, erzählte von Glück und Innigkeit, duftete nach Fleisch und Haar und gepfl egter Schönheit, und etwas anderes stieß ab, schien unecht, ließ Enttäuschung fürchten. Es war die alte, anerzogene und ein Leben lang gepfl egte Scheu vor dem, was er als dirnenhaft empfand, vor dem bewußten Sichzeigen des Schönen, vor dem off enen Erinnern an Geschlecht und Liebeskampf. Er spürte wohl, daß der Zwiespalt in ihm selbst lag. Da war wie der Wagner, da war wieder die Welt des Schönen, aber ohne Zucht, des Reizenden, aber ohne Verstecktheit, ohne Scheu, ohne schlechtes Gewissen. Da steckte ein Feind in ihm, der ihm das Paradies verbot.
    Die Tische in der Halle wurden jetzt von Dienern umge stellt und ein freier Raum in der Mitte geschaff en.
    Ein Teil der Gäste war nicht wiedergekommen.
    ›Dableiben‹, rief ein Wunsch in dem einsamen Mann.
    Er spürte voraus, was für eine Nacht ihm bevorstand, wenn er jetzt fortging. Eine Nacht wie die vorige, wahrscheinlich eine noch schlimmere. Wenig Schlaf, mit bösen Träumen, Hoff nungslosigkeit und Selbstquälerei, dazu das Geheul der Sinne, der Gedanke an die Kette von grünen Steinen auf der weißen und perlfarbigen Frauenbrust. Vielleicht war schon bald, bald der Punkt erreicht, wo das Leben nicht mehr aus zuhalten war.

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    Und er hing doch am Leben, sonderbar genug. Ja, tat er das? Wäre er denn sonst hier? Hätte er seine Frau verlassen, hätte er die Schiff e hinter sich verbrannt, hätte er diesen ganzen bösartigen Apparat in Anspruch genommen, alle diese Schnitte ins eigene Fleisch, und wäre er schließlich in diesen Süden hergereist, wenn er nicht am Leben hinge, wenn nicht Wunsch und Zukunft in ihm waren? Hatte er es nicht heut gefühlt, klar und wunderschön, bei dem guten Wein, vor dem geschlossenen Parktor, auf der Bank am Kai? Er blieb und fand Platz am Tisch neben jenem, wo der Sän ger und die Gelbe saßen. Dort waren sechs, sieben Menschen beisammen, welche sichtlich hier zu Hause waren, gewisser maßen ein Teil dieser Veranstaltung und Lustbarkeit waren.
    Er blickte beständig zu ihnen hinüber. Zwischen ihnen und den Stammgästen dieses Gartens bestand Vertraulichkeit, auch die Leute vom Orchester kannten sie und gingen an ih rem Tische ab und zu oder riefen Witze herüber, sie nannten die Kellner du und mit den Vor-namen. Es wurde deutsch, italienisch und französisch durcheinander gesprochen.
    Klein betrachtete die Gelbe. Sie blieb ernst und kühl, er hatte sie noch nicht lächeln sehen, ihr beherrschtes Gesicht schien unveränderlich. Er konnte sehen, daß sie an ihrem Ti sche etwas galt, Männer und Mädchen hatten gegen sie einen Ton von kameradschaftlicher Achtung. Er hörte nun auch ihren Namen nennen: Teresina.
    Er besann sich, ob sie schön sei, ob sie ihm eigentlich 447
    gefalle. Er konnte es nicht sagen. Schön war ohne Zweifel ihr Wuchs und ihr Gang, sogar un gewöhnlich schön, ihre Haltung beim Sitzen und die Bewe gungen ihrer sehr gepfl egten Hände. An ihrem Gesicht und Blick aber beschäftigte und irritierte ihn die stille Kühle, die Sicherheit und Ruhe der Miene, das fast maskenhaft Starre.
    Sie sah aus wie ein Mensch, der seinen eigenen Himmel und seine eigene Hölle hat, welche niemand mit ihm teilen kann. Auch in dieser Seele, welche durchaus hart, spröde und viel leicht stolz, ja böse schien, auch in dieser Seele mußte Wunsch und Leidenschaft brennen. Wel-cherlei Gefühle suchte und liebte sie, welche fl oh sie?
    Wo waren ihre Schwä chen, ihre Ängste, ihr Verborgenes? Wie sah sie aus, wenn sie lachte, wenn sie schlief, wenn sie weinte, wenn sie küßte.
    Und wie kam es, daß sie nun seit einem halben Tag seine Gedanken beschäftigte, daß er sie beobachten, sie studieren, sie fürchten, sich über sie ärgern mußte, während er noch nicht einmal wußte, ob sie ihm gefalle oder nicht?
    War sie vielleicht ein Ziel und Schicksal für ihn?
    Zog eine heimliche Macht ihn zu ihr, wie sie ihn

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