Meistererzählungen
Schwesterklosters lag helle Sonne auf der steilen Halde, deren lichte Matten und Obsthänge da und dort von goldbraun schimmernden Geröllwällen und Lehmgruben unterbrochen wurden.
An einem off enen Fenster des zweiten Stockwerkes saß le send der Pater Matthias, ein blondbärtiger Mann im besten Alter, der im Kloster und anderwärts den Ruf eines freundli chen, wohlwollenden und sehr achtbaren Herren genoß. Es spielte jedoch unter der Oberfl äche seines hübschen Gesich
tes und ruhigen Blickes ein
Schatten von verheimlichter Dunkelheit und Unordnung, den die Brüder, sofern sie ihn wahrnahmen, als einen gelinden Nachklang der tiefen Ju gendmelancholie betrachteten, welche vor zwölf Jahren den Pater in die-148
ses stille Kloster getrieben hatte und seit gerau mer Zeit immer mehr untergesunken und in liebenswürdige Ge-mütsruhe verwandelt schien. Aber der Schein trügt, und Pater Matthias selbst war der einzige, der um die verborgene Ursache dieses Schattens wußte.
Nach heftigen Stürmen einer leidenschaftlichen Jugend hatte ein Schiff bruch diesen einst glühenden Menschen in das Kloster geführt, wo er Jahre in zerstörender Selbstver leugnung und Schwermut hinbrachte, bis die geduldige Zeit und die ursprüngliche kräftige Gesundheit seiner Natur ihm Vergessen und neuen Lebensmut brachte. Er war ein belieb
ter Bruder geworden und
stand im gesegneten Ruf, er habe eine besondere Gabe, auf Missionsreisen und in frommen Häusern ländlicher Gemeinden die Herzen zu rühren und die Hände zu öff -
nen, so daß er von solchen Zügen stets mit reichlichen Erträgen an barem Gut und rechtskräftigen Le gaten in das beglückte Kloster heimkehrte.
Ohne Zweifel war dieser Ruf wohl erworben, sein Glanz jedoch und der des klingenden Geldes hatte die Väter für ei nige andere Züge im Bild ihres lieben Bruders blind gemacht. Denn wohl hatte Pater Matthias die Seelenstürme jener dunklen Jugendzeiten überwunden und machte den Ein druck eines ruhig gewordenen, doch vorwiegend frohgesinn ten Mannes, dessen Wünsche und Gedanken im Frieden mit seinen
Pfl ichten beisammen wohnten; wirkliche Seelenken ner aber hätten doch wohl sehen müssen, daß die ange-149
nehme Bonhommie des Paters nur einen Teil seines inneren Zustandes wirklich ausdrückte, über manchen verschwiegenen Un ebenheiten aber nur als eine hübsche Maske lag. Der Pater Matthias war nicht ein Vollkommener; in dessen Brust alle Schlacken des Ehemals untergegangen waren; vielmehr hatte mit der Ge-sundung seiner Seele auch der alte, eingeborne Kern dieses Menschen wieder eine Genesung begangen und schaute, wenn auch aus veränderten und beherrschten Au gen, längst wieder mit heller Begierde nach dem funkelnden Leben der Welt.
Um es ohne Umschweife zu sagen: Der Pater hatte schon mehrmals die Klostergelübde gebrochen. Seiner reinlichen Natur widerstrebte es zwar, unterm Mantel der Frömmigkeit Weltlust zu suchen, und er hatte seine Kutte nie befl eckt. Wohl aber hatte er sie, wovon kein Mensch etwas wußte, schon mehrmals beiseite getan, um sie säuberlich zu erhalten und nach einem Ausfl ug ins Weltliche wieder anzulegen.
Pater Matthias hatte ein gefährliches Geheimnis.
Er be saß, an sicherem Orte verborgen, eine angenehme, ja ele gante Bürgerkleidung samt Wäsche, Hut und Schmuck, und wenn er auch neunundneunzig von
hunderten seiner Tage durchaus ehrbar in Kutte und Pfl ichtübung hinbrachte, so weilten seine heimlichen Gedanken doch allzu oft bei jenen seltenen, geheimnisvollen Tagen, die er da und dort als Welt mann unter Weltmenschen verlebt hatte.
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Dieses Doppelleben, dessen Ironie auszukosten des Paters Gemüt viel zu redlich war, lastete als ungebeich-tetes Verbre chen auf seiner Seele. Wäre er ein schlechter, uneifriger und unbeliebter Pater gewesen, so hätte er längst den Mut gefun den, sich des Ordenskleides unwürdig zu bekennen und eine ehrliche Freiheit zu gewinnen.
So aber sah er sich geachtet und geliebt und tat seinem Orden die treffl
ichsten Dienste, neben welchen ihm so-
gar zuweilen seine Verfehlungen bei nahe verzeihlich erscheinen wollten. Ihm war wohl und frei ums Herz, wenn er in ehrlicher Arbeit für die Kirche und sei nen Orden wirken konnte. Wohl war ihm auch, wenn er auf verbotenen Wegen den Begierden seiner Natur Genüge tun und lang unterdrückte Wünsche ihres Stachels be-rauben konnte. In allen müßigen Zwischenzeiten jedoch erschien in seinem guten Blick der unliebliche Schatten, da schwankte seine
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