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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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ermunternd oder lachte mißbilligend, gab aber keine Worte von sich und suchte durch Gebärden anzudeu-ten, seine Sprache sei die unfehl bare Natur und werde später die Weltsprache aller Vegeta rier und Natur-menschen sein. Seine nächsten Freunde waren täglich bei ihm, genossen seinen Unterricht in der Kunst des Kauens und Nüsseschälens und sahen einer fortschreitenden Vervollkommnung mit Ehrfurcht zu, doch heg-ten sie die Be sorgnis, ihn bald zu verlieren, da er vermutlich binnen kur zem, ganz eins mit der Natur, sich in die heimatliche Wildnis der Gebirge zurückziehen werde.
    Einige Schwärmer schlugen vor, diesem wundersa-
    men Wesen, das den Kreislauf des Lebens vollendet und den Weg zum Ausgangspunkt der Menschwerdung zu-rückgefunden hatte, göttliche Ehren zu erweisen. Als sie jedoch eines Mor gens bei Aufgang der Sonne in dieser Absicht das Gehölz aufsuchten und ihren Kult mit Gesang begannen, erschien der Gefeierte auf seinem gro-
    ßen Lieblingsaste, schwang sein gelöstes Lendentuch höhnisch in Lüften und bewarf die An beter mit harten Pinienzapfen.

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    Dieser Jonas der Vollendete, dieser ›Gorilla‹, war unserem Doktor Knölge im Innersten seiner bescheidenen Seele zuwi der. Alles, was er in seinem Herzen je gegen die Auswüchse vegetarischer Weltanschauung und fanatisch-tollen Wesens schweigend bewegt hatte, trat ihm in dieser Gestalt schreck haft entgegen und schien sogar sein eigenes maßvolles Vegetariertum grell zu verhöhnen. In der Brust des anspruchslo sen Pri-vatgelehrten erhob sich gekränkt die Würde des Menschen, und er, der so viele Andersmeinende gelassen und duldsam ertragen hatte, konnte an dem Wohnort des Voll kommenen nicht vorübergehen, ohne Haß und Wut gegen ihn zu empfi nden. Und der Gorilla, der auf seinem Aste alle Arten von Gesinnungsgenossen, Verehrern und Kritikern mit Gleichmut betrachtet hatte, fühlte ebenfalls wider diesen Menschen, dessen Haß sein Instinkt wohl witterte, eine zu nehmende tierische Erbitterung. Sooft der Doktor vorüber kam, maß er den Baumbewohner mit vorwurfsvoll beleidig ten Blicken, die dieser mit Zähnefl etschen und zornigem Fauchen erwiderte.
    Schon hatte Knölge beschlossen, im nächsten Mo-
    nat die Provinz zu verlassen und nach seiner Heimat zurückzukeh ren, da führte ihn, beinahe wider seinen Willen, in einer strahlenden Vollmondnacht ein Spaziergang in die Nähe des Gehölzes. Mit Wehmut dachte er früherer Zeiten, da er noch in voller Gesundheit als ein Fleischesser und gewöhnlicher Mensch unter sei-146
    nesgleichen gelebt hatte, und im Gedächtnis schönerer Jahre begann er unwillkürlich ein altes Studenten lied vor sich hin zu pfeifen.
    Da brach krachend aus dem Gebüsch der Wald-
    mensch hervor, durch die Töne erregt und wild gemacht. Bedrohlich stellte er sich vor dem Spaziergänger auf, eine ungefüge Keule schwingend. Aber der überraschte Doktor war so er bittert und erzürnt, daß er nicht die Flucht ergriff , sondern die Stunde gekommen fühlte, da er sich mit seinem Feinde auseinandersetzen müsse. Grimmig lächelnd verbeugte er sich und sagte mir so viel Hohn und Beleidigung in der Stimme, als er aufzubringen vermochte: »Sie erlauben, daß ich mich vorstelle. Doktor Knölge.«
    Da warf der Gorilla mit einem Wutschrei seine Keule fort, stürzte sich auf den Schwachen und hatte ihn im Augenblick mit seinen furchtbaren Händen erdrosselt.
    Man fand ihn am Morgen, manche ahnten den Zusammenhang, doch wagte niemand etwas gegen den Aff en Jonas zu tun, der gleichmü tig im Geäste seine Nüsse schälte. Die wenigen Freunde, die sich der Fremde während seines Aufenthaltes im Paradiese erworben hatte, begruben ihn in der Nähe und steckten auf sein Grab eine einfache Tafel mit der kurzen Inschrift:
    Dr. Knölge, Gemischtkostler aus Deutschland.
    (1910)
    Pater Matthias
    An der Biegung des grünen Flusses, ganz in der Mitte der hügeligen alten Stadt, lag im Vormittagslicht eines sonnigen Spätsommertages das stille Kloster. Von der Stadt durch den hoch ummauerten Garten, vom ebenso großen und stillen Nonnenkloster durch den Fluß getrennt, ruhte der dunkle breite Bau in behaglicher Ehrwürdigkeit am gekrümmten Ufer und schaute mit vielen blinden Fensterscheiben hoch mütig in die entartete Zeit. In seinem Rücken an der schatti gen Hügelseite stieg die fromme Stadt mit Kirchen, Kapel len, Kollegi-en und geistlichen Herrenhäusern bergan bis zum hohen Dom; gegenüber aber jenseits des Wassers und des einsam stehenden

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