Meistererzählungen
nach Sicherheit begehrende Seele zwischen Reue und Trotz, Mut und Angst hin und wider, und bald beneidete er jeden Mitbruder um seine Unschuld, bald jeden Städter draußen um seine Freiheit.
So saß er auch jetzt, vom Lesen nicht erfüllt, an seinem Fenster und sah häufi g vom Buche weg ins Freie hinaus.
Indem er mit müßigem Auge den lich ten frohen Hügel-hang gegenüber betrachtete, sah er einen merkwürdigen Menschenzug dort drüben erscheinen, der von der Hö-
henstraße her auf einem Fußpfad näherkam.
Es waren vier Männer, von denen der eine fast elegant, die anderen schäbig und kümmerlich gekleidet 151
waren, ein Land jäger in glitzernder Uniform ging ihnen voraus, und zwei an dere Landjäger folgten hinten nach.
Der neugierig zu schauende Pater erkannte bald, daß es Verurteilte waren, welche vom Bahnhofe her auf diesem nächsten Wege dem Kreisgefängnis zugeführt wurden, wie er es öfter gesehen hatte.
Erfreut durch die Ablenkung, beschaute er sich die be trübte Gruppe, jedoch nicht ohne in seinem heimlichen Miß mut unzufriedene Betrachtungen daran zu knüpfen. Er emp fand zwar wohl ein Mitleid mit diesen armen Teufeln, von welchen namentlich einer den Kopf hängen ließ und jeden Schritt voll Widerstrebens tat; doch meinte er, es ginge ihnen eigentlich nicht gar so übel, wie ihre augenblickliche Lage andeutete.
›Jeder von diesen Gefangenen‹, dachte er, ›hat als ersehn tes Ziel den Tag vor Augen, da er entlassen und wieder frei wird. Ich aber habe keinen solchen Tag vor mir, nicht nah noch ferne, sondern eine endlose bequeme Gefangenschaft, nur durch seltene gestohlene Stunden einer eingebildeten Freiheit unterbrochen. Der eine oder andere von den armen Kerlen da drüben mag mich jetzt hier sitzen sehen und mich herzlich beneiden. Sobald sie aber wieder frei sind und ins Leben zurückkehren, hat der Neid ein Ende, und sie halten mich lediglich für einen armen Tropf, der wohlgenährt hinterm zierlichen Gitter sitzt.‹
Während er noch, in den Anblick der Dahingeführten und Soldaten verloren, solchen Gedanken nachhing, 152
trat ein Bru der bei ihm ein und meldete, er werde vom Guardian in des
sen Amtszimmer erwartet. Freund-
lich kam der gewohnte Gruß und Dank von seinen
Lippen, lächelnd erhob er sich, tat das Buch an seinen Ort, wischte über den braunen Ärmel seiner Kutte, auf dem ein Lichtrefl ex vom Wasser herauf in rostfarbenen Flecken tanzte, und ging sogleich mit seinem unfehlbar anmutig-würdigen Schritt über die langen kühlen Korridore zum Guardian hinüber.
Dieser empfi ng ihn mit gemessener Herzlichkeit, bot ihm einen Stuhl an und begann ein Gespräch über die schlimme Zeit,über das scheinbare Abnehmen des Got-tesreiches auf Erden und die zunehmende Teuerung.
Pater Matthias, der dieses Gespräch seit langem kannte, gab ernsthaft die erwar teten Antworten und Einwürfe von sich und sah mit froher Erregung dem Endziel entgegen, welchem sich denn auch der würdige Herr ohne Eile näherte. Es sei, so schloß er seuf zend, eine Ausfahrt ins Land sehr notwendig, auf welcher Matthias den Glauben treuer Seelen ermuntern, den Wankel mut un-getreuer vermahnen solle und von welcher er, wie man hoff e, eine erfreuliche Beute von Liebesgaben heimbrin-gen werde. Der Zeitpunkt sei nämlich ungewöhnlich günstig, da ja soeben in einem fernen südlichen Lande bei Anlaß einer politischen Revolution Kirchen und Klöster mörderlich heimgesucht worden, wovon alle Zeitungen meldeten. Und er gab dem Pater eine sorgfältige Auswahl von teils schrecklichen, teils rührenden 153
Einzelheiten aus diesen neuesten Mar tyrien der kämp-fenden Kirche.
Dankend zog sich der erfreute Pater zurück, schrieb No tizen in sein kleines Taschenbüchlein, überdachte mit ge schlossenen Augen seine Aufgabe und fand eine glückliche Wendung und Lösung um die andere, ging zur gewohnten Stunde munter zu Tisch und brachte alsdann den Nachmit tag mit den vielen kleinen Vor-bereitungen zur Reise hin. Sein unscheinbares Bündel war bald beisammen; weit mehr Zeit und Sorgfalt er-forderten die Anmeldungen in Pfarrhäusern und bei treuen gastfreien Anhängern, deren er manche wußte.
Gegen Abend trug er eine Handvoll Briefe zur Post und hatte dann noch eine ganze Weile auf dem Telegrafen-amt zu tun. Schließlich legte er noch einen tüchtigen Ta schenvorrat von kleinen Traktaten, Flugblättern und from men Bildchen bereit und schlief danach fest und friedvoll als ein Mann, der wohlgerüstet einer
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