Meistererzählungen
Kutte vor die hoch geschätzte Frau zu treten, schon um sie nicht allzusehr zu er schrecken, und hatte deshalb den Weg hierher genommen. Nun jedoch, da er nur eines Schrittes bedurfte, um am Schal ter sein Eigentum wiederzufordern, kam diese Absicht ihm plötzlich töricht und unredlich vor, ja er empfand, wie nie zuvor, vor der Rückkehr in die klösterliche Tracht einen wahren Schreck und Abscheu, so daß er seinen Plan im Au genblick änderte und vor sich selber schwor, die Kutte nie mals wieder anzulegen, es komme, wie es wolle.
Daß mit den übrigen Wertsachen ihm auch der
Gepäck schein entwendet worden war, wußte und bedachte er dabei gar nicht. Darum ließ er sein Gepäck liegen, wo es lag, und reiste denselben Weg, den er gestern in der Frühe noch als Pater gefahren, im schlichten Bür-gerrocke zurück. Dabei schlug ihm das Herz immerhin, je näher er dem Ziele kam, desto peinlicher; denn er fuhr nun schon wieder durch die Gegend, welcher er vor Tagen noch gepredigt hatte, und mußte in jedem neu einsteigenden Fahrgaste den beargwöh nen, der ihn erkennen und als erster seine Schande sehen würde.
Doch war der Zufall und der einbrechende Abend ihm günstig, so daß er die letzte Station unerkannt und unbelästigt erreichte.
Bei sinkender Nacht wanderte er auf müden Bei-
nen den Weg zum Dorfe hin, den er zuletzt bei Son-176
nenschein im Ein spänner gefahren war, und zog, da er noch überall Licht hin ter den Läden bemerkte, noch am selben Abend die Glocke am Tore des Tannerschen Landhauses.
Die gleiche Magd wie neulich tat ihm auf und fragte nach seinem Begehren, ohne ihn zu erkennen. Matthias bat, die Hausfrau noch heute abend sprechen zu dürfen, und gab dem Mädchen ein verschlossenes Billett mit, das er vorsorg lich noch in der Stadt geschrieben hatte. Sie ließ ihn, der spä ten Stunde wegen ängstlich, im Freien warten, schloß das Tor wieder ab und blieb eine bange Weile aus.
Dann aber schloß sie rasch wieder auf, hieß ihn mit verle gener Entschuldigung ihrer vorigen Ängstlichkeit eintreten und führte ihn in das Wohnzimmer der Frau, die ihn dort al lein erwartete.
»Guten Abend, Frau Tanner«, sagte er mit etwas
befange ner Stimme, »darf ich Sie nochmals für eine kleine Weile stö ren?« Sie grüßte gemessen und sah ihn an.
»Da Sie, wie Ihr Billett mir sagt, in einer sehr wichtigen Sa che kommen, stehe ich gerne zur Verfügung.
– Aber wie se hen Sie denn aus?«
»Ich werde Ihnen alles erklären, bitte, erschrecken Sie nicht! Ich wäre nicht zu Ihnen gekommen, wenn ich nicht das Zutrauen hätte, Sie werden mich in einer sehr schlimmen Lage nicht ohne Rat und Teilnahme lassen.
Ach, verehrte Frau, was ist aus mir geworden!«
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Seine Stimme brach, und es schien, als würgten ihn Trä nen. Doch hielt er sich tapfer, entschuldigte sich mit großer Erschöpfung und begann alsdann, in einem be-quemen Sessel ruhend, seine Erzählung. Er fi ng damit an, daß er schon seit mehreren Jahren des Klosterlebens müde sei und sich meh rere Verfehlungen vorzuwerfen habe. Dann gab er eine kurze Darstellung seines früheren Lebens und seiner Klo sterzeit, seiner Predigtreisen und auch seiner letzten Mis sion. Und darauf berichtete er ohne viel Einzelheiten, aber ehrlich und verständlich sein Abenteuer in der Stadt.
Es folgte auf seine Erzählung eine lange Pause. Frau Tan ner hatte aufmerksam und ohne jede Unterbrechung zuge hört, zuweilen gelächelt und zuweilen den Kopf geschüttelt, schließlich aber jedes Wort mit einem gleich-bleibenden ge spannten Ernst verfolgt. Nun schwiegen sie beide eine Weile.
»Wollen Sie jetzt nicht vor allem andern einen Imbiß neh men?« fragte sie endlich. »Sie bleiben jedenfalls die Nacht hier und können in der Gärtnerwohnung schlafen.«
Die Herberge nahm der Pater dankbar an, wollte jedoch von Essen und Trinken nichts wissen.
»Was wollen Sie nun von mir haben?« fragte sie langsam.
»Vor allem Ihren Rat. Ich weiß selber nicht genau, woher mein Vertrauen zu Ihnen kommt. Aber in allen diesen schlimmen Stunden ist mir niemand sonst ein-178
gefallen, auf den ich hätte hoff en mögen. Bitte, sagen Sie mir, was ich tun soll!«
Nun lächelte sie ein wenig.
»Es ist eigentlich schade«, sagte sie, »daß Sie mich das nicht neulich schon gefragt haben. Daß Sie für einen Mönch zu gut oder doch zu lebenslustig sind, kann ich wohl begrei fen. Es ist aber nicht schön, daß Sie Ihre Rückkehr ins Welt leben so heimlich betreiben wollten.
Dafür
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