Meistererzählungen
an ein hoff nungslos betrunkener Mann, der beständig ohne Ur sache lachte, Wein über den Tisch vergoß und rechenschafts los auf einem breiten Strome von Rausch und Wohlleben dahintrieb. Nur zuweilen besann er sich für eine Minute, blickte verwundert in die Lustbarkeit und griff nach Metas Hand, die er küßte und streichelte, um sie bald wieder loszu lassen und zu vergessen. Einmal erhob er sich, um einen Trinkspruch auszubringen, doch fi el ihm das schwankende Glas aus der Hand und zersprang auf dem überschwemmten
Tische, worüber er wieder ein herzliches, doch schon ermü detes Gelächter begann. Meta zog ihn in seinen Stuhl zu rück, und Breitinger bot ihm mit ernsthafter Zurede ein Glas Kirschwasser an, das er leerte und dessen scharfer brennen der Geschmack das Letzte war, was ihm von diesem Abend dunkel im Gedächtnis blieb.
Nach einem todschweren Schlaf erwachte Herr Matthias blinzelnd zu einem schauderhaften Gefühl von Leere, Zerschlagenheit, Schmerz und Ekel. Kopfweh und Schwindel hielten ihn nieder, die Augen brannten trocken und entzün det, an der Hand schmerzte ihn ein breiter verkrusteter Riß, an dessen Herkunft er keine Erinnerung hatte. Nur langsam erholte sich sein Bewußtsein, da richtete er sich plötzlich auf, sah an sich nieder und suchte Stützen für sein Gedächtnis zu gewinnen.
Er lag, nur halb entkleidet, in einem fremden Zim mer und Bett, und da er erschreckend aufsprang und zum Fenster trat, blickte er in eine morgendliche unbekann-170
te Straße hinab. Stöhnend goß er ein Waschbecken voll und ba dete das entstellte heiße Gesicht, und während er mit dem Handtuch darüber fuhr, schlug ihm plötzlich ein böser Arg wohn wie ein Blitz ins Gehirn. Hastig stürzte er sich auf sei nen Rock, der am Boden lag, riß ihn an sich, betastete und wendete ihn, griff in alle Taschen und ließ ihn erstarrt aus zitternden Händen sinken. Er war beraubt. Die schwarzle derne Brustmappe war fort.
Er besann sich, er wußte alles plötzlich wieder. Es waren über tausend Kronen in Papier und Gold gewesen.
Still legte er sich wieder auf das Bett und blieb wohl eine halbe Stunde wie ein Erschlagener liegen. Wein-dunst und Schlaftrunkenheit waren völlig verfl ogen, auch die Schmer zen spürte er nicht mehr, nur eine gro-
ße Müdigkeit und Trauer. Langsam erhob er sich wieder, wusch sich mit Sorgfalt, klopfte und schabte seine beschmutzten Kleider nach Möglichkeit zurecht, zog sich an und schaute in den Spiegel, wo ein gedunsenes trauriges Gesicht ihm fremd entgegensah. Dann faßte er alle Kraft zu einem heftigen Entschluß zusam men und überdachte seine Lage. Und dann tat er ruhig und bitter das Wenige, was ihm zu tun übrig blieb.
Vor allem durchsuchte er seine ganze Kleidung, auch Bett und Fußboden genau. Der Rock war leer, im Bein-kleid je doch fand sich ein zerknitterter Schein von fünfzig Kronen und zehn Kronen in Gold. Sonst war kein Geld mehr da.
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Nun zog er die Glocke und fragte den erscheinenden Kell ner, um welche Zeit er heute nacht angekommen sei. Der junge Mensch sah ihm lächelnd ins Gesicht und meinte, wenn der Herr selber sich nimmer erinnern könne, so werde einzig der Portier Bescheid wissen.
Und er ließ den Portier kommen, gab ihm das Gold-stück und fragte ihn aus. Wann er ins Haus gebracht worden sei? – Gegen zwölf Uhr. – Ob er bewußtlos gewesen? – Nein, nur anscheinend bezecht. – Wer ihn her-gebracht habe? – Zwei junge Männer. Sie hätten erzählt, der Herr habe sich bei ei nem Gastmahl übernommen und begehre hier zu schlafen. Er habe ihn zuerst nicht aufnehmen wollen, sei jedoch durch ein schönes Trinkgeld doch dazu bestimmt worden. – Ob der Portier die beiden Männer wiedererkennen würde? – Ja, das heißt wohl nur den einen, den mit dem steifen Hut. Matthias entließ den Mann und bestellte seine Rechnung samt einer Tasse Kaff ee. Den trank er heiß hinunter, bezahlte und ging weg.
Er kannte den Teil der Stadt, in dem sein Gasthaus lag, nicht, und ob er wohl nach längerem Gehen bekannte und halbbekannte Straßen traf, so gelang es ihm doch in mehre ren Stunden angestrengter Wanderung nicht, jenes kleine Wirtshaus wiederzufi nden, wo das Gestrige passiert war.
Doch hatte er sich ohnehin kaum Hoff nung gemacht, et was von dem Verlorenen wiederzugewinnen. Von dem Au genblick an, da er in plötzlich aufzuckendem Verdacht 172
sei nen Rock untersucht und die Brusttasche leer gefunden hatte, war er von der Erkenntnis durchdrungen, es sei nicht
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