Meistererzählungen
saß in blauen Polstermöbeln zwischen zahlreichen stillblickenden 208
Familienphotographien. Nie hatte ich eine Einrichtung gesehen, wel che dem Wesen der Bewohner so vollkommen entsprach und Ausdruck verlieh. Mitten im Zimmer stand ein ungeheurer Vogelkäfi g, und drinnen saß regungslos ein großer Papa gei.
»Kann er sprechen?« fragte ich.
Frau Schievelbein verkniff ein Gähnen und nickte.
»Sie werden ihn vielleicht bald hören. Nach Tisch ist er immer am muntersten.«
Es hätte mich interessiert zu wissen, wie er sonst aussah, denn weniger munter hatte ich noch nie ein Tier gesehen. Er hatte die Lider halb über die Augen gezogen und sah aus wie von Porzellan.
Aber nach einer Weile, als der Hausherr entschlummert war und auch die Dame bedenklich im Sessel nickte, da tat der versteinerte Vogel wahrhaftig den Schna-bel auf und sprach in gähnendem Tonfall mit gedehnter und äußerst menschenähnlicher Stimme die Worte, die er konnte: »O Gott ogott ogott ogott –.«
Frau Schievelbein wachte erschrocken auf; sie glaubte, es sei ihr Mann gewesen, und ich benutzte den Augenblick, um ihr zu sagen, ich möchte mich jetzt gern ein wenig in mein Zimmer zurückziehen.
»Vielleicht geben Sie mir irgend etwas zu lesen mit«, setzte ich hinzu.
Sie lief und kam mit einer Zeitung wieder. Aber ich dankte und sagte: »Haben Sie nicht irgendein Buch? Einerlei was.«
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Da stieg sie seufzend mit mir die Treppe zum Gastzimmer hinauf, zeigte mir meine Stube und öff nete dann mit Mühe einen kleinen Schrank im Korridor.
»Bitte, bedienen Sie sich hier«, sagte sie und zog sich zurück. Ich glaubte, es handle sich um einen Likör, aber vor mir stand die Bibliothek des Hauses, eine kleine Reihe staubiger Bücher. Begierig griff ich zu, man fi ndet in solchen Häusern oft ungeahnte Schätze. Es waren aber nur zwei Gesangbücher, drei alte Bände von ›Über Land und Meer‹, ein Katalog der Weltaus stellung in Brüssel von Anno soundso und ein Taschenlexi kon der franzö-
sischen Umgangssprache.
Eben war ich nach einer kurzen Siesta am Waschen, da wurde geklopft, und das Dienstmädchen führte einen Herrn herein. Es war der Vereinssekretär, der mich sprechen wollte. Er klagte, der Vorverkauf sei sehr schlecht, sie schlügen kaum die Saalmiete heraus. Und ob ich nicht mit weniger Honorar zufrieden wäre. Aber er wollte nichts davon wissen, als ich vorschlug, die Vorlesung lieber zu unterlassen. Er seufzte nur sorgenvoll, und dann meinte er: »Soll ich für et was Dekoration sorgen?«
»Dekoration? Nein, ist nicht nötig.«
»Es wären zwei Fahnen da«, lockte er unterwürfi g.
End lich ging er wieder, und meine Stimmung begann sich erst wieder zu heben, als ich mit meinen nun wieder munter ge wordenen Gastgebern beim Tee saß. Es gab Buttergebacke nes dazu und Rum und Benediktiner.
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Am Abend gingen wir dann alle drei in den ›Gol-
denen An ker‹. Das Publikum strömte in Scharen nach dem Hause, so daß ich ganz erstaunt war; aber die Leute verschwanden alle hinter den Flügeltüren eines Saales im Parterre, während wir in die zweite Etage hinaufstie-gen, wo es viel stiller zuging.
»Was ist denn da unten los?« fragte ich den Sekretär.
»Ach, die Biermusik. Das ist jeden Samstag.«
Ehe Schievelbeins mich verließen, um in den Saal zu ge hen, ergriff die gute Frau in einer plötzlichen Wallung meine Hand, drückte sie begeistert und sagte leise: »Ach, ich freue mich ja so furchtbar auf diesen Abend.«
»Warum denn?« konnte ich nur sagen, denn mir war ganz anders zumute.
»Nun«, rief sie herzlich, »es gibt doch nichts Schö-
neres, als wenn man sich wieder einmal so richtig auslachen kann!«
Damit eilte sie davon, froh wie ein Kind am Morgen seines Geburtstages.
Das konnte gut werden.
Ich stürzte mich auf den Sekretär. »Was denken sich die Leute eigentlich unter diesem Vortrag?« rief ich hastig. »Mir scheint, sie erwarten etwas ganz anderes als einen Autoren abend.«
Ja, stammelte er kleinlaut, das könne er unmöglich wissen. Man nehme an, ich werde lustige Sachen vortra-gen, vielleicht auch singen, das andere sei meine Sache
– und überhaupt, bei diesem miserablen Besuch – –
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Ich jagte ihn hinaus und wartete allein in bedrückter Stimmung in einem kalten Stübchen, bis der Sekretär mich wieder abholte und in den Saal führte.
Da standen etwa zwanzig Stuhlreihen, von denen drei oder vier besetzt waren. Hinter dem kleinen Podium war eine Vereinsfahne an die Wand ge nagelt.
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