Meistererzählungen
ja heut wieder sehen können, wie du mit Schmetterlingen umgehst.«
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In diesem Augenblick fehlte nicht viel, so wäre ich ihm an die Gurgel gesprungen. Es war nichts zu machen, ich war und blieb ein Schuft, und Emil stand kühl in verächtlicher Gerechtigkeit vor mir wie die Weltord-nung. Er schimpfte nicht einmal, er sah mich nur an und verachtete mich.
Da sah ich zum erstenmal, daß man nichts wieder gut ma chen kann, was einmal verdorben ist. Ich ging weg und war froh, daß die Mutter mich nicht ausfrag-te, sondern mir einen Kuß gab und mich in Ruhe ließ.
Ich sollte zu Bett gehen, es war schon spät für mich.
Vorher aber holte ich heimlich im Eßzimmer die große bunte Schachtel, stellte sie aufs Bett und machte sie im Dunkeln auf. Und dann nahm ich die Schmet terlinge heraus, einen nach dem andern, und drückte sie mit den Fingern zu Staub und Fetzen.
(1911)
Autorenabend
Als ich gegen Mittag in dem Städtchen Querburg ankam, empfi ng mich am Bahnhof ein Mann mit einem breiten grauen Backenbart.
»Mein Name ist Schievelbein«, sagte er, »ich bin der Vor stand des Vereins.«
»Freut mich«, sagte ich. »Es ist großartig, daß es hier in dem kleinen Querburg einen Verein gibt, der literarische Abende veranstaltet.«
»Na, wir leisten uns hier allerlei«, bestätigte Herr Schievel bein. »Im Oktober war zum Beispiel ein Konzert, und im Karneval geht es schon ganz toll zu. – Und Sie wollen uns also heut abend durch Vorträge unterhalten?«
»Ja, ich lese ein paar von meinen Sachen vor, kürzere Pro sastücke und Gedichte, wissen Sie.«
»Ja, sehr schön. Sehr schön. Wollen wir einen Wagen neh men?«
»Wie Sie meinen. Ich bin hier ganz fremd; vielleicht zeigen Sie mir ein Hotel, wo ich absteigen kann.«
Der Vereinsvorstand musterte jetzt den Koff er, den der Träger hinter mir herbrachte. Dann ging sein Blick prüfend über mein Gesicht, über meinen Mantel, meine Schuhe, meine Hände, ein ruhig prüfender Blick, so wie man etwa ei nen Reisenden ansieht, mit dem man eine Nacht das Coupé teilen soll. Seine Prüfung fi ng eben an, mir aufzufallen und peinlich zu werden, da verbreite-203
ten sich wieder Wohlwollen und Höfl ichkeit über seine Züge.
»Wollen Sie bei mir wohnen?« fragte er lächelnd. »So gut wie im Gasthaus fi nden Sie es da auch und sparen die Hotelkosten.«
Er begann mich zu interessieren; seine Patronats-miene und wohlhabende Würde waren drollig und
lieb, und hinter dem etwas herrischen Wesen schien viel Gutmütigkeit verborgen. Ich nahm also die Einladung an; wir setzten uns in einen off enen Wagen, und nun konnte ich wohl sehen, neben wem ich saß, denn in den Straßen von Querburg war beinahe kein Mensch, der meinen Patron nicht mit Ergebenheit ge-grüßt hätte. Ich mußte beständig die Hand am Hute haben und bekam eine Vorstellung davon, wie es Fürsten zumute ist, wenn sie sich durch ihr Volk hin-durchsalutieren müs sen.
Um ein Gespräch zu beginnen, fragte ich: »Wieviel Plätze hat wohl der Saal, in dem ich sprechen soll?«
Schievelbein sah mich beinahe vorwurfsvoll an: »Das weiß ich wirklich nicht, lieber Herr; ich habe mit diesen Sachen gar nichts zu tun.«
»Ich dachte nur, weil Sie ja doch Vorstand –«
»Gewiß; aber das ist nur so ein Ehrenamt, wissen Sie.
Das Geschäftliche besorgt alles unser Sekretär.«
»Das ist wohl der Herr Giesebrecht, mit dem ich korre spondiert habe?«
»Ja, der ist’s. Jetzt passen Sie auf, da kommt das 204
Krieger denkmal, und dort links, das ist das neue Postgebäude. Fein, nicht?«
»Sie scheinen hier in der Gegend keinen eigenen Stein zu haben«, sagte ich, »da sie alles aus Backstein machen?«
Herr Schievelbein sah mich mit runden Augen an, dann brach er in ein Gelächter aus und schlug mir kräftig aufs Knie.
»Aber Mann, das ist ja eben unser Stein! Haben Sie nie vom Querburger Backstein gehört? Ist ja berühmt.
Von dem leben wir hier alle.«
Da waren wir schon vor seinem Hause. Es war mindestens ebenso schön wie das Postgebäude. Wir stiegen aus, und über uns ging ein Fenster auf und eine Frauenstimme rief herunter: »So, hast du also den Herrn doch mitgebracht? Na, schön. Komm nur, wir essen gleich.«
Bald darauf erschien die Dame an der Haustür und war ein vergnügtes rundes Wesen, voll von Grübchen und mit kleinen, dicken, kindlichen Wurstfi ngern.
Wenn man gegen den Herrn Schievelbein etwa noch Bedenken hätte hegen können, diese Frau zerstreute jeden Zweifel, sie atmete nichts als
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