Meistererzählungen
Es war scheußlich. Aber ich stand nun einmal da, die Fahne prunkte, das Gaslicht blitzte in meiner Wasserfl asche, die paar Leute saßen und warteten, ganz vorne Herr und Frau Schievelbein. Es half alles nichts; ich mußte beginnen.
So las ich denn in Gottes Namen ein Gedicht vor.
Alles lauschte erwartungsvoll – aber als ich glücklich im zweiten Vers war, da brach unter unseren Füßen mit Pauken und Tschinellen die große Biermusik los. Ich war so wütend, daß ich mein Wasserglas umwarf. Man lachte herzlich über die sen Scherz. Als ich drei Gedichte vorgelesen hatte, tat ich ei nen Blick in den Saal. Eine Reihe von grinsenden, fassungs
losen, enttäuschten,
zornigen Gesichtern sah mich an, etwa sechs Leute erhoben sich verstört und verließen diese unbe hagliche Veranstaltung. Ich wäre am liebsten mitgegangen.
Aber ich machte nur eine Pause und sagte dann, soweit ich gegen die Musik ankam, es scheine leider hier ein Mißver ständnis zu walten, ich sei kein humoristischer Rezitator, sondern ein Literat, eine Art von Sonderling und Dichter, und ich wolle ihnen jetzt, da sie doch einmal da seien, eine Novelle vorlesen.
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Da standen wieder einige Leute auf und gingen fort.
Aber die Übriggebliebenen rückten jetzt aus den lichtge wordenen Reihen näher beim Podium zusammen; es waren immer noch etwa zwei Dutzend Leute, und ich las weiter und tat meine Schuldigkeit, nur kürz-te ich das Ganze tüchtig ab, so daß wir nach einer halben Stunde fertig waren und gehen konnten.
Frau Schievelbein begann mit ihren dicken Händ-
chen wü tend zu klatschen, aber es klang so allein nicht gut, und so hörte sie errötend wieder auf.
Der erste literarische Abend von Querburg war zu Ende. Mit dem Sekretär hatte ich noch eine kurze ernste Unterre dung; dem Mann standen Tränen in den Augen. Ich warf ei nen Blick in den leeren Saal zurück, wo das Gold der Fahne einsam leuchtete, dann ging ich mit meinen Wirten nach Hause. Sie waren so still und feierlich wie nach einem Be gräbnis, und plötzlich, als wir so blöd und schweigend nebeneinander hergingen, muß-
te ich laut hinauslachen, und nach einer kleinen Weile stimmte Frau Schievelbein mit ein. Daheim stand ein ausgesuchtes kleines Essen bereit, und nach einer Stunde waren wir drei in der besten Stimmung. Die Dame sagte mir sogar, meine Gedichte seien herzig und ich möchte ihr eins davon abschreiben.
Das tat ich zwar nicht, aber vor dem Schlafengehen schlich ich mich ins Nebenzimmer, drehte Licht an und trat vor den großen Vogelkäfi g. Ich hätte gerne den alten Papa gei noch einmal gehört, dessen Stimme und Tonfall 213
dies ganze liebe Bürgerhaus sympathisch auszudrücken schien. Denn was irgendwo drinnen ist, will sich zeigen; Propheten haben Gesichte, Dichter machen Verse, und dieses Haus ward Klang und off enbarte sich im Ruf dieses Vogels, dem Gott eine Stimme verlieh, daß er die Schöpfung preise.
Der Vogel war beim Aufblitzen des Lichtes erschrok-ken und sah mich aus verschlafenen Augen starr und glasig an. Dann fand er sich zurecht, dehnte den Flügel mit einer un säglich schläfrigen Gebärde und gähnte mit fabelhaft menschlicher Stimme: »O Gott ogott ogott ogott –«
(1912)
Der Zyklon
Es war in der Mitte der neunziger Jahre, und ich tat da mals Volontärdienst in einer kleinen Fabrik meiner Vater stadt, die ich noch im selben Jahre für immer verließ. Ich war etwa achtzehn Jahre alt und wußte nichts davon, wie schön meine Jugend sei, obwohl ich sie täglich genoß und um mich her fühlte wie der Vogel die Luft. Ältere Leute, die sich der Jahrgänge im einzelnen nimmer besinnen mögen, brauche ich nur daran zu erinnern, daß in dem Jahre, von dem ich er zähle, unsere Gegend von einem Zyklon oder Wettersturm heimgesucht wurde, dessengleichen in unserm Lande weder vorher noch später gesehen worden ist. In jenem Jahre ist es gewesen. Ich hatte mir vor zwei oder drei Tagen einen Stahl meißel in die linke Hand gehauen. Sie hatte ein Loch und war geschwollen, ich mußte sie verbunden tragen und durfte nicht in die Werkstatt gehen.
Es ist mir erinnerlich, daß jenen ganzen Spätsommer hin durch unser enges Tal in einer unerhörten Schwü-
le lag und daß zuweilen tagelang ein Gewitter dem andern folgte. Es war eine heiße Unruhe in der Natur, von welcher ich freilich nur dumpf und unbewußt berührt wurde und deren ich mich doch noch in Kleinigkeiten entsinne. Abends zum Beispiel, wenn ich zum Angeln ging, fand ich von der
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