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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sich: Was haben wir noch? Worin besteht unser Leben?
    Dann müssen Sie doch sofort sagen: Der Krieg ist das einzige, was wir noch haben! Vergnügen und persönlicher Erwerb, gesell schaftlicher Ehrgeiz, Habgier, Liebe, Geistesarbeit – alles existiert nicht mehr. Der Krieg ist es einzig und allein, dem wir es verdanken, daß noch so etwas wie Ordnung, Gesetz, Gedanke, Geist in der Welt vorhanden ist. – Können Sie denn das nicht sehen?«
    Ja, nun sah ich es ein, und ich dankte dem Herrn sehr.
    Dann ging ich davon und steckte die Empfehlung
    an das Amt 127 mechanisch in meine Tasche. Ich hatte nicht im Sinne, von ihr Gebrauch zu machen, es war mir nichts daran gelegen, noch irgendeines dieser Ämter zu belästigen. Und noch ehe ich wieder bemerkt und zur Rede gestellt werden konnte, sprach ich den kleinen Sternensegen in mich hinein, stellte meinen Herzschlag ab, ließ meinen Körper im Schat ten eines Gebüsches verschwinden und setzte meine vorhe rige Wanderung fort, ohne mehr an Heimkehr zu denken.
    (1917)
    Das Reich
    Es war ein großes, schönes, doch nicht eben reiches Land, darin wohnte ein braves Volk, bescheiden, doch kräftig, und war mit seinem Los zufrieden. Reichtum und gutes Leben, Eleganz und Pracht gab es nicht eben viel, und reichere Nachbarländer sahen zuweilen nicht ohne Spott oder spötti sches Mitleid auf das bescheidene Volk in dem großen Lande.
    Einige Dinge jedoch, die man nicht für Geld kaufen kann und welche dennoch von den Menschen geschätzt werden, gediehen in dem sonst ruhmlosen Volke gut. Sie gediehen so gut, daß mit der Zeit das arme Land trotz seiner geringen Macht berühmt und geschätzt wurde. Es gediehen da solche Dinge wie Musik, Dichtung und Ge-dankenweisheit, und wie man von einem großen Weisen, Prediger oder Dichter nicht fordert, daß er reich, elegant und sehr gesellschaftsfähig sei, und ihn in seiner Art dennoch ehrt, so taten es die mächtige ren Völker mit diesem wunderlichen armen Volk. Sie zuck ten die Achseln über seine Armut und sein etwas schwerfälli ges und ungeschicktes Wesen in der Welt, aber sie sprachen gern und ohne Neid von seinen Denkern, Dichtern und Mu sikern.
    Und allmählich geschah es, daß das Land der Gedanken zwar arm blieb und oft von seinen Nachbarn unterdrückt wurde, daß aber über die Nachbarn und über alle Welt hin ein beständiger, leiser, befruchtender Strom von Wärme und Gedanklichkeit sich ergoß.

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    Eines aber war da, ein uralter und auff allender Umstand, wegen dessen das Volk nicht bloß von den Fremden verspot tet wurde, sondern auch selber litt und Pein empfand –: die vielen verschiedenen Stämme dieses schönen Landes konn ten sich von alters her nur schlecht miteinander vertragen. Beständig gab es Streit und Eifersucht. Und wenn auch je und je der Gedanke aufstand und von den besten Männern des Volkes ausgesprochen wurde, man sollte sich einigen und sich in freundlicher, gemeinsamer Arbeit zusammentun, so war doch schon der Gedanke, daß dann einer der vielen Stämme, oder dessen Fürst, sich über die andern erheben und die Führung haben würde, den meisten so zuwider, daß es nie zu einer Einigung kam.
    Der Sieg über einen fremden Fürsten und Eroberer, wel cher das Land schwer unterdrückt hatte, schien diese Eini gung endlich doch bringen zu wollen. Aber man verzankte sich schnell wieder, die vielen kleinen Fürsten wehrten sich dagegen, und die Untertanen dieser Fürsten hatten von ih nen so viele Gnaden in Form von Ämtern, Titeln und farbi gen Bändchen erhalten, daß man allgemein zufrieden und nicht zu Neuerungen geneigt war.
    Inzwischen ging in der ganzen Welt jene Umwälzung vor sich, jene seltsame Verwandlung der Menschen und Dinge, welche wie ein Gespenst oder eine Krankheit aus dem Rauch der ersten Dampfmaschinen sich erhob und das Leben all überall veränderte. Die Welt wurde voll 262
    von Arbeit und Fleiß, sie wurde von Maschinen regiert und zu immer neuer Arbeit angetrieben. Große Reichtümer entstanden, und der Weltteil, der die Maschinen erfunden hatte, nahm noch mehr als früher die Herrschaft über die Welt an sich, verteilte die übrigen Erdteile unter seine Mächtigen, und wer nicht mäch tig war, ging leer aus.
    Auch über das Land, von dem wir erzählen, ging die Welle hin, aber sein Anteil blieb bescheiden, wie es seiner Rolle zu kam. Die Güter der Welt schienen wieder einmal verteilt, und das arme Land schien wieder einmal leer ausgegangen zu sein. Da nahm plötzlich alles einen

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