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Meistererzählungen

Meistererzählungen

Titel: Meistererzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und stille Hölle. Es war ein Weg ohne Hoff nung, an dessen Ende nichts stand als Dunkel und Tod – vielleicht ein Ende, hoff entlich ein Ende. Aber wie es scheint, gibt es für jedes Leid eine Grenze, bis wohin es Leid ist. Dann hat es entweder sein Ende, oder es verwandelt sich, nimmt Lebensfarben an, tut vielleicht noch weh, aber Schmerz ist dann Hoff nung und Leben. So ging es mir mit der Einsamkeit. Ich bin jetzt nicht weniger einsam als in meiner schlechtesten Zeit. Aber Einsamkeit ist ein Trank, der mich weder betäuben noch schmerzen kann, aus diesem Becher habe ich genug getrunken, um gegen sein Gift hart geworden zu sein. Aber es ist ja nicht Gift
    – das war es nur, das hat sich gewandelt. Alles ist Gift, was wir nicht an nehmen, nicht lieben, nicht dankbar schlürfen können. Und alles ist Leben und Wert, was wir lieben, woraus wir Leben saugen können.

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    Wenn ich versuche, über ein Stück meines Lebens Rechen schaft zu geben, so tue ich es nicht in der Meinung, ich könne damit lehren, ich könne Formeln fi nden und eine Weisheit destillieren. Obwohl ich mein Leben lang, seit den Jünglingsjahren, den Zug zur Philosophie empfand, und eine Bibliothek von Denkern gelesen habe, ist mir doch der Glaube an meine Fähigkeit vergangen, mein Weltbild mitteil bar zu formulieren. Ich bin kein Denker und will auch keiner sein. Ich habe das Denken viele Jahre lang überschätzt, ichhabe ihm viel Blut geopfert, ich habe dabei verloren und da bei gewonnen, je nachdem. Aber ich hätte ebenso wohl dies alles nicht tun können, und wäre heut bei dem selben Ergebnis. Nicht aus dem Denken habe ich gelernt, am wenigsten aus dem Denken der vielen andern, deren Werke ich studiert habe.
    Noch erinnere ich mich wohl der überaus holden Täuschung, die ich erlebte, als ich den ersten Philosophen gele sen und nach manchem Kopfschütteln verstanden hatte. Es war Spinoza, und bei Kant wiederholte sich die schöne Täu
    schung nochmals. Ich empfand über
    mein Verstandenhaben, über der Feststellung meiner Fähigkeit, diesen Gedankenbau zu begreifen und die Lebensgesetze seiner Konstruktion mit fühlen zu können – darüber empfand ich eine Befriedigung und ein Wohlsein, das an sich eine schöne Sache war, das ich aber so deutete, als habe ich nun ›die‹ Wahrheit gefunden. Ich meinte die Welt ein für allemal verstanden zu 271
    haben, während ich nichts erlebt hatte als einen der schönen Augen blicke, in denen man im unendlichen Wirbel der Bilder eine Kristallisation, einen Halt, eine Fixierung in sich fertig be kommt. Die Welt verstehen, hieße ein Leben führen, das un unterbrochen aus lauter solchen seltenen Augenblicken be stünde. Daß die Philosophie nur einer von tausend Wegen war, um solche Augenblicke zu erleben, empfand ich wohl, glaubte es aber lange nicht. In Wirklichkeit war mein Erleb nis bei Kant, bei Schopenhauer, bei Schelling kein anderes, als das ich auch bei der Matthäuspassion, bei Mantegna, beim Faust gehabt hatte. Heute sehe ich das etwa so: eine Philosophie von überwiegendem Wert gibt es nur für den schöpferischen Philosophen, nicht für seinen Schüler, nicht für seinen Leser, nicht für seinen Kritiker.
    In seiner Welt schöpfung erlebt der Philosoph das, was jedes Wesen in sei nen Augenblicken der Reife und Er-füllung empfi ndet, die Frau beim Gebären, der Künstler beim Schaff en, der Baum bei den Stationen der Jahreszeit und Lebensalter. Daß der Denker dies Erlebnis be-wußt erlebe, die andern Wesen ›nur‹ unbewußt, ist ein alter Glaubenssatz, an dem ich schweigend zweifl e. Mag er selbst richtig sein (er ist es nicht, denn der Denker erliegt im Erleben seines Werkes hundert Illusionen, und wie oft hängt sich seine Liebe und Eitelkeit gerade an die zweifelhaftesten seiner Funde!) – so bestrei-tet doch meine Erfahrung diesen überragenden Wert des Bewußtseins. Daß ich den mir wichtigsten Kreis 272
    der Dinge dauernd im Blick feld meines Bewußtseins habe, ist nicht entscheidend für den Wert und die Steigerung meines Ichs, sondern nur das, daß ich zwischen dem Bezirk des Bewußtseins und dem Unbe wußten
    gute, leichte, fl üssige Beziehungen habe. Wir sind nicht Denkmaschinen, sondern Organismen, und in unsrem Organismus nimmt das Unbewußte eine ähnliche Stelle ein wie der Magen im berühmtem Gleichnis des römischen Red ners. Für den, der nicht gewillt ist, sich um Worte zu streiten, ist es nicht leicht, das auszudrücken, was ich meine. Aber als Gleichnis scheint mir

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