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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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bestärken, was ihr zuvor schon aufgegangen war: Die Gräfin hütete nicht nur ein Geheimnis, sondern zwei.
    »Still!«, unterbrach ihre Mutter Wevia scharf.
    Sie atmete tief durch, offenbar, um ihre Gedanken zu ordnen. Dann wandte sie sich an Emma und erklärte streng: »Du solltest bei deiner Familie sein. Jeden Augenblick kann es geschehen, dass Gott deinen Vater zu sich ruft. Nicht all deine Geschwister haben das Glück, in dieser Stunde bei ihm sein zu können – es wäre sträflich, schlügest du diese Gnade aus.« Sie wartete Emmas Antwort nicht ab, sondern richtete sich erneut an Wevia. »Ich sorge dafür, dass alles seinen richtigen Weg nimmt. Bleib du in der Kapelle und widme dich dem Gebet, damit hilfst du uns am meisten.« Zuletzt maßen ihre wachsamen Augen Agnes. »Und du … du kommst mit mir!«
    Rasch nahm sie die Schriften mit den Runen an sich. Wevia stand eine Weile wie erstarrt da, wandte sich dann aber umso erleichterter wieder dem Gekreuzigten zu und überließ es der anderen, weitere Entscheidungen zu treffen. Emma schien zunächst etwas widerborstiger, doch die Erwähnung des Vaters hatte auch ihren Willen und Trotz gebrochen, und alsbald verließ sie mit gesenktem Kopf die Kapelle und hastete Richtung Haupthaus.
    Wenig später stand Agnes mit ihrer Mutter allein im Hof. »Mutter …«, setzte Agnes stammelnd an, » … Mutter, was sollen wir jetzt tun … die Mönche … sie dürfen doch nicht …«
    Argwöhnisch blickte sich die Mutter um, ehe sie ihre Tochter wortlos packte und in eine der Schreibkammern der Notare zog. »Hier sind wir fürs Erste in Sicherheit vor ihnen.«
    Agnes entging nicht, dass ihre Stimme zitterte.
    Fürs Erste …
    Aber später?
    »Du hast Wevia nicht gefragt, was diese Runen bedeuten«, begann Agnes aufgeregt, indessen Schauder über ihren Rücken liefen. »Und das heißt, dass du ahnst, was dort steht. Gehörst du etwa zu den wenigen, die die Runen zu lesen vermögen?«
    Die Miene der Mutter blieb verschlossen. Sie antwortete nicht auf die Frage, sagte nur: »Ich weiß um die Vergangenheit der Gräfin.«
    Trotz ihrer Neugier wagte Agnes nicht nachzufragen, doch der Blick ihrer Mutter schweifte in die Ferne, und was immer sie dort sah, machte sie gesprächig.
    »Dein Großvater konnte Runen lesen«, sagte sie leise. »Er wurde von einer Heidin großgezogen.«
    Der Großvater war lange tot, und doch besann sich Agnes vieler seiner Geschichten. Sie hatte ihm eigentlich immer gern gelauscht, obwohl manches, was er berichtete, beängstigend gewesen war, vor allem, wenn von den Heiden die Rede war. Allein das Wort auszusprechen verhieß Gefahr. Wenn man als Heide starb, ging man des Heils verlustig und musste in der ewigen Hölle leiden.
    »Wie kann es denn eigentlich sein«, hatte Agnes ihren Großvater einst gefragt, »dass sich nicht alle Heiden taufen lassen?«
    »Nun«, war seine Antwort gewesen, »die Nordmänner glauben nicht an die Hölle und noch weniger, dass irgendetwas für alle Ewigkeiten Bestand hat.«
    Die Mutter beugte sich zu ihr. »Dein Großvater hat seine Herkunft nie verleugnet. Nicht nur, dass eine Heidin ihn erzogen hat – auch sein Vater war ein Heide. Lange Zeit wusste er das nicht, später wollte er es nicht wissen, doch schließlich musste er sich der Wahrheit stellen. Der Name seines heidnischen Vaters war Thure, der seiner fränkischen Mutter Gisla. Doch diese war zu schwach gewesen, ihn großzuziehen, und hatte ihn darum ihrer Gefährtin Runa überlassen. Deren Großmutter hieß meines Wissens Asrun. Und deine Großmutter wiederum, Mathilda, stammt auch von einem Heiden und einer Christin ab. Rögnvaldr hieß ihr Vater. Hawisa ihre Mutter.«
    So viele Menschen. So viele Namen. Am besten gefiel ihr Asrun. Ob auch diese Runen hatte lesen können? Und warum erzählte ihre Mutter das alles?
    »Was hat das mit dem Geheimnis der Gräfin zu tun? Was hat sie getan?«
    Wieder gab die Mutter ihr keine Antwort auf ihre Fragen. »In unser aller Adern fließen zwei Arten von Blut«, sagte sie leise. »Irgendwann müssen wir uns entscheiden, auf welcher Seite wir stehen.«
    »Aber die Gräfin hat das doch getan. Sie ist eine tugendhafte Frau, heißt es, sie steht fest im Glauben an Christus, und …«
    »Du bist zu jung, all das zu begreifen …«
    »Ich bin schon zehn!«
    »Agnes, versteh doch! Ich kann dir nicht mehr verraten. Ich habe ihr doch versprochen, Stillschweigen zu wahren …«
    »Wem? Der Gräfin? Und über was sollst du schweigen?«
    Ihre

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