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Meisterin der Runen

Meisterin der Runen

Titel: Meisterin der Runen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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schien jedoch froh über ein Stündchen am warmen Kamin.
    Alruna ging auf und ab. Sie hatte gedacht, dass der Grat zwischen Leben und Tod ein schmaler wäre, errichtet von einem strikten Entweder-oder, weil man nicht nur ein wenig lebte oder ein wenig tot war. Doch stattdessen wähnte sie sich nun in einem Labyrinth voller Abzweigungen, die sie vom eigentlichen Ziel wegzuführen suchten: Tu es nicht, kehre um, lass es nicht zu!
    Entschlossen schritt sie daran vorbei und stolperte doch über weitere Fragen: Hat er dich denn in manchen Stunden nicht auch gerührt, der Kleine? Und hast du in Gunnora nicht manchmal auch die liebende Mutter gesehen, nicht nur die verhasste Nebenbuhlerin?
    Alruna blieb stehen. Es war Richards und Gunnoras Kind, es kämpfte sicher lange und nicht minder verbissen wie sie mit sich selbst. Ihre Kräfte schwanden, ihr Trotz schwand nicht. Noch wollte er sich nicht beugen, weder dem Entsetzen über sich selbst noch dem Mitleid mit dem Kind. Doch als die Schneeflocken auf Alrunas Gesicht schmolzen und ungeweinten Tränen gleich ihre Wangen hinunterliefen, schrie es plötzlich in ihr: Was habe ich nur getan?
    In der Ferne sah sie Arfast, wie er in seine geröteten Fäuste blies, um sie ein wenig zu wärmen. In den letzten Wochen hatte er nie gewagt, ihr nahezukommen, hatte ihr nur dann und wann scheue Blicke zugeworfen. Heute nahm er sie nicht wahr, vielleicht, weil sie unsichtbar war. Oder nein, sie war nicht unsichtbar, sie war dunkel … schwarz … war eins mit der Nacht.
    Er sieht mich genauso wenig wie Richard, dachte sie. Doch bei ihm ist es meine Schuld. Ich bräuchte nur zu ihm ins Licht der Fackeln zu treten, mich zu überwinden, dem Hass abzuschwören, müsste aufgeben, nachgeben …
    Bin ich denn wahnsinnig, es nicht zu tun?
    Sie löste sich aus der Starre, begann zu laufen, aber nicht auf Arfast zu. Er würde sie sehen, aber er durfte es nicht, nicht, solange sie nicht die Frau war, die er liebte, sondern die Mörderin eines Kindes.
    Sie rannte zurück ins Wohnhaus, zur Kammer des Kindes, sie lauschte auf sein Schreien, aber hörte nur ihre Schritte, ihren Atem, ihr dröhnendes Herz. Nein, bitte nicht …
    Das Licht von Fackeln fiel auf sie. Alruna war nicht mehr dunkel, nicht mehr kalt, nicht mehr grausam. Sie erreichte den Raum, sie suchte das Kind, doch es lag nicht mehr am Fenster, sondern in Armen, weichen und wärmenden. Richards Armen. Sein Blick war besorgt auf das Kind gerichtet, dann sah er Alruna durchdringend an. Die Zeit der Heuchelei, des falschen Lächelns und der Lügen war vorbei.
    Er erkannte die Wahrheit. Er wusste, dass sie es getan hatte. Und ihr fiel nichts ein, um sich zu rechtfertigen.
    Unmöglich war es, Richard um Vergebung zu bitten, unmöglich, Gunnora in die Augen zu sehen, unmöglich, den fassungslosen, verstörten Vater zu ertragen.
    Nur ihrer Mutter konnte Alruna nicht entgehen. Einige Stunden waren vergangen, seit Richard seinen kleinen Sohn gefunden hatte, Stunden, die keine Gewissheit brachten, ob es dem Kleinen bald wieder gut ginge oder ob er vom Fieber, das ihn nach der Kälte befallen hatte, dahingerafft würde.
    Alruna hatte Gebete gesprochen wie alle anderen, die Nacht war der Dämmerung gewichen, Mathildas Gesicht war grau, sie sah müde aus und … enttäuscht.
    Alruna stürzte auf sie zu, klammerte sich an sie fest und gewahrte entsetzt, dass Mathilda sich unsanft von ihr losmachte.
    »Du verstehst mich doch, Mutter, wenigstens du!«
    Aber da war kein Verständnis, nur noch mehr Enttäuschung. Mathilda schüttelte den Kopf. »Er ist Richards Sohn!«, schrie sie. »Er wird dereinst Graf der Normandie. Wie konntest du ein unschuldiges Kind …« Ihre Stimme brach, nie hatte Alruna die Mutter so erschüttert gesehen.
    »Ich wollte es nicht, ich war nicht bei mir …«
    »Die letzten Wochen über hast du aller Welt nur etwas vorgespielt. Ich kenne dich nicht mehr wieder. Wer bist du? Wo ist das Mädchen, das vor Kraft und Lebensfreude strotzte?«
    »Wirklich, Mutter … ich wollte es nicht. Als ich zur Besinnung kam …«
    »Es könnte zu spät sein. Viel zu spät. Der Kleine fiebert immer noch …«
    Alruna ertrug den vorwurfsvollen Blick nicht länger und wandte sich ab. Doch Mathildas strengen Worten konnte sie nicht entgehen.
    »Als ich mit dir schwanger ging, hatte ich große Angst um deine Zukunft«, begann sie zu sprechen. »Es waren kriegerische Zeiten voller Gewalt, Intrigen und Verrat. Weder dein Vater noch ich wussten genau, wo wir

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